Thomas Jühe, Bürgermeister von Raunheim und Vorsitzender der Fluglärmkommission, ist ein vielbeschäftigter Mann. Neben seinem Job ist er in zahlreichen flughafenrelevanten Gremien vertreten. Und selbst nach Feierabend hetzt er in Sachen Flughafen und Fluglärm von Veranstaltung zu Veranstaltung, um seine Ansicht vorzutragen und für seine Arbeit in der Fluglärmkommission zu werben. In der Regel bleibt er keine Minute länger als unbedingt notwendig, immer in Eile. Man kann sicher sein, dass er sich sorgfältig überlegt, wofür er seine knappe Zeit investiert.
Um so überraschter waren wir, ihn bei der öffentlichen Sitzung des "Ausschusses für Umwelt, Energie, Verkehr und Planung" des Kreises Offenbach anzutreffen - auf der Zuschauerbank. Eingeladen war er nämlich nicht, wie wir später erfuhren. In der Sitzung sollten die Mitglieder des Umweltausschusses über den neuesten Stand beim Flughafenausbau und über die Aktivitäten in der Fluglärmkommission informiert werden: nichts, was Flughafen-Insider Jühe nicht längst aus anderen Quellen besser wissen sollte. Und so blätterte der Gast während des ersten Stunde, in der unter anderem Fraport-Ausbauplaner Häfner neue Terminpläne und bekannte Arbeitsplatzzahlen zum Flughafenausbau vortrug, eher gelangweilt in mitgebrachten Unterlagen.
Gekommen war er eher wegen dem zweiten Tagesordnungspunkt. Im Frühjahr hatte zwischen der Ersten Kreisbeigeordneten Jäger und dem Vorsitzenden der Fluglärmkommission eine heftige Kontroverse in der Presse gegeben, nachdem Jäger das "Fluglärmentlastungskonzept Raunheim", durch das der Kreis Offenbach erheblich mehr mit Fluglärm belastet würde, in der Presse als "Belastungskonzept für weite Teile des Kreises Offenbach" kritisiert hatte. Worauf Jühe den Vorwurf erhoben hatte, die Kreisbeigeordnete hetze ihre Kommunen gegen die Raunheimer Ideen auf. Da hatte man im Kreis die Problematik wohl lieber erst einmal intern besprechen wollen, bevor man dem "politischen Gegner" ins Auge schaut.
Doch unsere Hoffnung auf eine unerwartete knackige Auseinandersetzung, von der wir brühwarm und (mangels Anwesenheit anderer Pressevertreter) exklusiv hätten berichten können, wurde enttäuscht. Die Erste Kreisbeigeordnete Jäger, die den Kreis Offenbach in der Fluglärmkommission vertritt, vermied bei ihrem langen Bericht über ihre Aktivitäten vorsichtig jeden Anlass zum Konflikt. Dem Kreissausschuss liege an einer guten Zusammenarbeit mit der Fluglärmkommission, betonte sie zur Einleitung ihres Vortrags. Auf die umstrittenen Raunheimer Vorschläge ging sie inhaltlich mit keinem Wort ein.
Wenn es überhaupt Kritik gab, war sie nur zwischen den Zeilen zu ahnen. So habe sie im vergangenen Jahr darum gebeten, auch die nicht in der Kommission vertretenen Kommunen zur Einreichung von Vorschlägen aufzufordern, berichtete Jäger, dies sei aber nicht geschehen. Nachdem öffentlicher Druck gekommen sei, habe sie dann im Frühjahr die Kreiskommunen über die Pläne in der Kommission informiert, erläuterte sie weiter. Da war allerdings die offizielle Frist zum Einreichen eigener Entlastungsvorschläge an die Kommission lange abgelaufen, und so haben weder der Kreis noch einzelne Kreiskommunen (außer Neu-Isenburg, das selbst in der Kommission vertreten ist), solche Vorschläge eingereicht. Ein Zeichen für die Wichtigkeit, die der Fluglärmfrage im Kreis Offenbach der Fluglärmfrage zugebilligt wird?
Jäger berichtete weiter, der Kreis Offenbach habe im Frühjahr eine Stellungnahme zu den Raunheimer Plänen bei der Fluglärmkommission eingereicht. Weiterhin habe man Fraport, die HLUG, Wirtschafts- und Umweltministerium und die Flugsicherung (DFS) angeschrieben und um Stellungnahme zu den Raunheimer Ideen gebeten. Geantwortet hätte nur die DFS, bei den anderen Institutionen seien entweder noch keine Stellungnahmen vorhanden oder sie seien vertraulich. Außerdem habe sie bei der Fluglärmkommission beantragt, alle eingereichten Entlastungsvorschläge original zu bekommen, damit Kreismitarbeiter sich in Ruhe damit befassen könnten, und darum gebeten, dass die Kreiskommunen zu den sie betreffenden Diskussionspunkten in der Kommission eingeladen werden. Im ersten der beiden Punkten hoffe sie noch auf Einigung, was heißt, dass der Wunsch bislang abgelehnt wird - typisch für die Geheimhaltungspolitik der Kommission. Beim zweiten Punkt sei Zustimmung signalisiert worden, führte Jäger aus. Ob es sich dabei nur um die in Jühes Konzept vorgesehene Anhörung oder echte Mitarbeit handeln soll, blieb unklar.
Im Anschluss an Jägers Vortrag stellte ein Mitarbeiter des Umweltamtes den Ausschussmitgliedern das "Fluglärmentlastungskonzept Raunheim" vor. Dazu wurden einige Folien aus Jühes Originalpräsentation verwendet und die darauf stehenden Punkte im wesentlichen kommentarlos verlesen, einschließlich der Einschätzung, dass im Osten des Flughafens nur eine geringfügige Mehrbelastung auftreten würde. Eine kritische Distanz oder gar Auseinandersetzung mit den Vorschlägen, die aus Sicht des Kreises Offenbach als Betroffener eigentlich zu erwarten gewesen wäre, war nicht zu bemerken. Wer sich nicht schon mit der komplexen Materie befasst hatte, hatte keine Chance, die Vorschläge zu verstehen und ihre Konsequenzen zu begreifen.
Und so war Zuschauer Jühe, der an dieser Stelle mit Hinweis auf einen weiteren Termin um ein abschließendes Wort gebeten hatte, sehr zufrieden mit der Darstellung seiner Ideen. Nur die Zahlen vom Kreis zum Thema Landen auf Startbahn West seien falsch, meinte er, ohne die richtigen Zahlen zu nennen. Immerhin nannte er die Zeiten, in denen nach Raunheimer Ansicht auf der Startbahn West gelandet werden soll: 21 bis 7 Uhr. Er holte sich die Zustimmung ein, sein Konzept demnächst noch einmal genauer beim Kreis vortragen zu dürfen, und verließ dann die Sitzung im Eiltempo.
Nachfragen der anwesenden Politiker oder Diskussionen fanden allerdings auch ohne Jühe nicht statt. Die meisten Kommunalvertreter, die zur Information ebenfalls eingeladen waren, waren schon gegangen. Ein SPD-Abgeordneter fragte Jäger, ob sie in der Kommission die Hand für eine "gerechte Verteilung des Fluglärms" heben würde, auch wenn der Kreis Offenbach dadurch stärker belastet würde, wobei er offensichtlich auf eine positive Antwort hoffte. Eine klare Antwort gab es nicht. "Dies ist eine theoretische Frage", meinte Jäger, es sei unwahrscheinlich, dass sich die Region auf eine "gerechte Lärmverteilung" einigen könne. Und: "Wir sind alle Politiker." Als Politiker müsse sie die Wähler zufrieden stellen.
Das war es dann erstmal. Die Bürger im Kreis Offenbach sollten sich schon mal warm anziehen. Die lammfromme Politikerschar, die sich an diesem Tag im Kreishaus präsentierte, wird die drohende Mehrbelastung durch Fluglärm bestimmt nicht verhindern. Der Raunheimer Bürgermeister kann mit dem heutigen Tag zufrieden sein. Seinem Ziel, einen potentiellen Gegner seiner Konzepte auszuschalten, dürfte er an diesem Tag näher gekommen sein.
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