Die Idee: "Demokratisierung des Fluglärms"
Der Raunheimer Bürgermeister Jühe, seit einem Jahr Vorsitzender der Fluglärmkommission, hat sich vorgenommen, eine Neuverteilung des Fluglärms in der Region ("Demokratisierung des Fluglärms", "gerechte Verteilung des Fluglärms", "Lärmlastenausgleich") durchzusetzen.
Hauptziel ist die Entlastung stark durch Fluglärm belasteter Städte - an erster Stelle natürlich Raunheim, das direkt unter der Einflugschneise aus Richtung Westen liegt. Verschiebung der Lärmbelastung von Raunheim auf andere Städte ist dabei eingeplant, denn die "Entwicklungsmöglichkeiten für den Flughafen" sollen nicht eingeschränkt werden.
Auch Offenbach, das zum Teil unter der Einflugschneise für Anflüge aus Richtung Osten liegt, unterstützt solche Umverteilungs-Pläne. Vom Offenbacher Oberbürgermeister Grandke stammt der Begriff "Demokratisierung des Fluglärms". Motto: Alle profitieren vom Flughafen, also sollen auch alle einen Teil des Lärms abkriegen.
"Es kann nicht sein, dass es im Rhein-Main-Gebiet extrem stark belastete Kommunen gibt und wiederum andere, die wesentlich besser wegkommen. Also muss der Lärm insgesamt gerechter verteilt werden". [Zitat Jühe, AZ vom 9.6.2004]
"Die Umverteilung des Lärms ist grundsätzlich notwendig, mit oder ohne Ausbau" [Jühe laut FR, 20.11.2003]
Bisher gab es in der Region einen informellen Konsens, beim Fluglärm keine Forderungen zu stellen, die die eigene Kommune entlasten, aber dafür andere mehr belasten (St. Florians-Prinzip). Die Flugrouten waren über Jahrzehnte relativ konstant. Entlastungswünsche waren an den Flughafenbetreiber, Flugsicherung und Fluggesellschaften gerichtet, Ziele waren z.B. verbesserte Flugverfahren, der vermehrten Einsatz leiserer Flugzeuge und geringfügige Optimierungen von Flugrouten. Mit den Forderungen von Jühe und Grandke wurde dieser Konsens endgültig verlassen. Nun mehren sich Stimmen, die entschlossen bis aggressiv eine Verbesserung der eigenen Situation auf Kosten von anderen fordern - eine Haltung, die durchaus dem allgemeinen Zeitgeist entspricht. Das St.Florians-Prinzip wird salonfähig.
Die Strategie: ein Lärmverteilungskonzept für die Region
Grundlage der Raunheimer Pläne ist der offizielle Lärmminderungsplan der Stadt Raunheim, der in seinem Maßnahmenplan verschiedene konkrete Vorschläge zur Senkung des Fluglärms in Raunheim enthält: das "Fluglärmentlastungskonzept Raunheim" (FER). Die Mehrzahl der Vorschläge hat zum Ziel, Raunheim zu entlasten, in dem man den Fluglärm auf andere Betroffene verschiebt. Die Umsetzung der Pläne soll über die Fluglärmkommission erfolgen. Praktisch: der Raunheimer Bürgermeister Jühe ist gleichzeitig der Vorsitzende dieser Kommission und hat so hervorragende Möglichkeiten, seine Pläne voranzutreiben
Um die Chancen für sein Projekt zu erhöhen, will Jühe die Raunheimer Vorschläge als Teil einer Paketlösung realisieren, die er als "Innovatives Konzept zur gerechten Verteilung des Fluglärms" zum Segen der gesamten Rhein-Main-Region verkauft. In diesem Paket sollen auch Entlastungs-Vorschläge anderer Kommunen berücksichtigt werden. Es besteht aber kein Zweifel daran, dass die Raunheimer Pläne der wichtigste Teil des Paketes sein sollen. Die Paketlösung werden wir im folgenden als "Jühe-Konzept" bezeichnen
Zur Erarbeitung des Umverteilungskonzepts in der Fluglärmkommission soll eine "neue Methodik" eingesetzt werden. Kernstück dieses Verfahrens ist die Definition von "objektiven Regeln", nach denen der Fluglärm schematisch "gerecht verteilt" werden kann: gegen eine so errechnete Lösung könnten sich die "Verlierer" nicht mehr wehren oder gar dagegen klagen. Die aktuelle Verteilung des Fluglärms in der Region könnte so völlig über den Haufen geworfen werden. Für Raunheim ist das ohne Risiko: nach den von Jühe definierten Spielregeln steht der positive Ausgang für diese Stadt schon fest! Weniger stark oder noch gar nicht mit Fluglärm belastete Kommunen können dagegen fast nur verlieren, da ja die gesamte Region gleichmässiger belastet werden soll.
"Die Resultate werden dann, weil man in dem ganzen Prozess mit Partnern wie der Flugsicherung oder der Hessischen Landesanstalt für Umwelt und Geologie zusammen arbeitet, kaum noch angreifbar sein." [Jühe laut Mainspitze, 30.3.04]
Die Durchsetzung eines solchen Konzeptes zur Lärm-Umverteilung innerhalb der Region ist schwierig und ohne Unterstützung der Politik nicht denkbar. Deshalb will Jühe neben der Fluglärmkommission noch weitere relevante Akteure, wie den Planungsverband und das Regionale Dialogforum (RDF), für seine Ideen gewinnen und bei der Realisierung einbeziehen, was mittlerweile gelungen ist (November 2004). Im RDF wird zur Zeit ein "regionaler Lärmminderungsplan" aufgestellt, was gut zum Thema passt, außerdem befasst sich eine ganz kleine Taskforce mit Vorschlägen zum !aktiven Schallschutz", auch die Raunheimer Ideen haben dort in die Liste der zu betrachtenden Ideen Eingang gefunden. Daneben versucht Jühe, auf öffentlichen Veranstaltungen und bei Verbänden und Parteien Werbung für seine Pläne zu machen.
Doch inzwischen scheint Jühe klar geworden zu sein, dass die Neuverteilung des Fluglärms in der Region für die Fluglärmkommission allein eine Nummer zu gross ist und dass es Widerstand dagegen geben wird. Nach neuesten Informationen soll das Kernstück der neuen Methodik (die Kriterien zur Verteilung des Lärms), und mögliche Verfahren um die Massnahmen in der Region durchzusetzen, gar nicht mehr in der Fluglärmkommission, sondern in einem EU-finanzierten Projekt ( Pressemitteilung zum Projekt) erarbeitet werden, das zusammen mit dem Planungsverband, dem RDF und anderen europäischen Flughäfen durchgeführt werden soll. Über den Antrag wird Anfang 2005 bei der EU entschieden.
Dies ist in mehrfacher Hinsicht eine äußerst geschickte Taktik. Zum einen wird vermieden, dass durch Konflikte in der Fluglärmkommission die Verteilungspläne schon während der Diskussion behindert oder sogar gekippt werden. Zum anderen hat eine Lösung mit dem Stempel "von der EU empfohlen" sehr viel mehr Gewicht und kann damit leichter durchgesetzt werden. Dass die Raunheimer Vorschläge vom Projekt als gut bewertet und einen sicheren Platz im Gesamtkonzept erhalten werden, kann (und wird) durch geeignete Definition der Projektziele und entsprechenden Einfluss leicht erreicht werden.
Doch Jühes Ambitionen gehen weit über die Region hinaus. Er hofft, dass die in seinem Projekt erarbeiteten Strategien und Vorschläge ein Modell für die Lärmminderung an allen europäischen Flughäfen werden und vielleicht sogar Eingang in entsprechende EU-Richtlinien finden sollen. Wer von den negativ Betroffenen traut sich da noch, gegen eine solche Lösung zu protestieren ??
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