Der hessische Verkehrsminister Al-Wazir hat heute Details zur Realisierung der von der Landesregierung versprochenen 7-stündigen Lärmpausen vorgestellt. Dabei soll durch wechselseitige Nutzung der Start- und Landebahnen in den Randzeiten von 22-23 Uhr und von 5-6 Uhr jeweils für bestimmte Bereiche eine zusätzliche fluglärmfreie Stunde geschaffen werden. Das Verkehrsministerium hat gemeinsam mit der Flugsicherung (DFS) und Fraport 256 theoretisch mögliche Modelle zur Gestaltung der Lärmpausen geprüft und bewertet. Von den vielen Möglichkeiten sind 5 übrig geblieben, die für den praktischen Betrieb in Frage kämen. Sie sollen nun in den zuständigen Gremien, mit den Kommunen und den Betroffenen diskutiert werden. Das ausgewählte Modell soll beginnend mit dem Sommerflugplan 2015 in den Probebetrieb gehen.
Übersicht und Auswahl Presseartikel:
- Übersichtsbeitrag bei hr-online
- hr online: Bericht in der Hessenschau
- hr online: Lärmpausen - das sollten Sie wissen
- Artikel in der FNP
- Artikel in der Main-Spitze (mit weiteren Links)
Details zur Lärmpausenregelung
Die 7-stündigen Lärmpausen sollen realisiert werden, in dem in den Nachtrandstunden (22-23 Uhr und 5-6 Uhr) bestimmte Landebahnen nicht benutzt werden, der ganze Flugverkehr wird in dieser Zeit auf einer anderen Landebahn abgewickelt. Dadurch hätten manche Bereiche von 22-5 Uhr und andere von 23-6 Uhr Ruhe vor dem Fluglärm. Im einzelnen sind die Regelungen nicht so einfach, wie man es sich vorstellt, weil es zusätzliche Randbedingungen gibt. So soll die Nordwestbahn am frühen Morgen nicht gesperrt werden, weil sonst die Landekapazität nicht ausreicht. Schwere Flugzeuge können auf der Nordwestbahn nicht landen. Starts sind nicht direkt Ziel der Lärmpausenregelung, sind aber durch Anhängigkeiten von der Landebahnnutzung indirekt auch betroffen. Die Modelle 4 und 5 werden als "instabil" bezeichnet, lassen sich also nicht immer zuverlässig umsetzen.
Die Lärmpausenregelung vermindert den Lärm insgesamt nicht, sondern verteilt ihn nur anders. Während ein Bereich eine Stunde lang vom Lärm entlastet wird, wird der Ausweichbereich entsprechend höher belastet. Im Unterschied zu DROPS, wo von zwei alternativen Flugrouten an geraden Tagen die eine und an ungeraden Tagen die andere Route genommen wird, ist die Lärmpausenregelung für Landungen statisch. Mehr- oder Minderbelastungen gleichen sich also nicht über die Zeit aus. Je nach Modell werden verschiedene Kommunen also permanent mehr oder weniger belastet. Zielvorstellung des Ministers ist es, möglichst vielen Betroffenen eine weitere Stunde Ruhe zu ermöglichen. Er hofft, dass in der Region ein Konsens über die Regelung gefunden wird. Wirklich "Gerechtigkeit" zu schaffen, dürfte schwierig sein. So ist laut Umfragen den meisten Betroffenen die Lärmpause von 5-6 Uhr lieber als die von 22-23 Uhr, aber nicht alle können sie haben. Eine Sperrung der Süd- oder Centerbahn dürfte die Betroffenen nicht vollständig vom Fluglärm befreien, weil man den Lärm der benachbarten Bahn immer noch hört.
Die verschiedenen Modelle für den Flugbetrieb mit Lärmpausen sind am besten aus dem Material des Verkehrsministeriums zu ersehen. In der Pressemitteilung des Ministeriums wird ein Überblick gegeben. In der Präsentation von Minister Al-Wazir wird die Methodik erläutert und für alle Modelle und jede Betriebsrichtung grafisch dargestellt, auf welchen Bahnen in den beiden Randstunden Flugzeuge starten und landen dürfen und auf welchen nicht. Dazu gibt es eine summarische Bewertung. Die Grafiken mit den Modellen sind auch als PDF-Datei zum Download verfügbar, hier sind zusätzlich die tatsächlichen Ruhezeiten pro Bahn (6, 7 oder 8 Stunden) nachzulesen. Auch Videos mit animierten Grafiken gibt es auf der Internetseite des Ministeriums.
Obwohl die Bildchen mit der Bahnnutzung an sich gut zu verstehen sind, ist eine Abschätzung der Wirkung und ein Vergleich der Auswirkungen der verschiedenen Modelle nicht einfach. Einen Anhaltspunkt bieten die Lärmberechnungen. Dort ist für jede betroffene Kommune und summiert nach Bereichen die Zahl an zusätzlichen "Aufweckreaktionen" (AWR, "im Hirnstrombild (EEG) messbare, nicht notwendigerweise erinnerbare, zusätzliche Aufwachreaktionen", Wahrscheinlichkeit 75%) gelistet. Nachvollziehbar ist die Berechnung für den Laien nicht. Durchaus bedeutsame Einflussgrößen, wie die Ausstattung mit passivem Schallschutz, sind bei der Berechnung gar nicht berücksichtigt. Bei einem ersten Blick auf die berechnete Statistik fällt auf, dass nach dem AWR-Kriterium überhaupt nur die Modelle 1 und 5 mehr Nutzen als Schaden bringen (5 ist aber "instabil"). Bei den anderen Modelle wäre die Region im Osten des Flughafens benachteiligt.
- HMWVEL: Lärmpausenmodelle für Frankfurter Flughafen vorgestellt
Pressemitteilung des Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung - Präsentation Lärmpausen von Verkehrsminister Al-Wazir
- Modelle Lärmpausen, Übersicht (pdf)
- Videos zum Thema Lärmpausen, beim HMWVEL
- Fluglärmberechnungen zu den Lärmpausen-Modellen
Erste Reaktionen
Die Reaktionen der Politik hängen naturgemäß vom Standpunkt ab. Während CDU und Grüne ihre Lösung loben, übt die Opoosition Kritik mit verschiedenen Argumenten. Die CDU hält die Lärmpausen von 7 Stunden für einen wichtigen Impuls für eine Verringerung der Lärmbelastung am Flughafen Frankfurt und setzt auf gekurvte Anflüge durch das neue Navigationssystem GBAS für weitere Entlastungen. Die Grünen sehen eine "Chance auf eine spürbare Entlastung der Anwohner" und gehen auf die Vorwürfe einer Kehrtwende beim Flughafenausbau ein: Man habe sich immer gegen den Ausbau des Flughafens gewandt, stehe jetzt in der Landesregierung aber der Aufgabe gegenüber, die Folgen dieser falschen Entscheidung erträglicher zu machen. Die SPD meinte, die hohen Erwartungen in die Lärmpausen seien nicht erfüllt worden. Weiterhin beschwert sich die SPD, dass die Landesregierung die Maßnahmen "als Geheimstrategie" erarbeitet hat, anstatt das dem FFR und der Fluglärmkommission zu überlassen, und nun die Verantwortung für die Auswahl abschiebe. Die Linke kritisiert, dass der Fluglärm nicht reduziert, sondern nur umverteilt wird. Die vorgelegten Modelle seien darauf angelegt, einzelne Kommunen gegeneinander auszuspielen. Die FDP nannte die Lärmpausenregelung eine "reine PR-Maßnahme" und befürchtet Konflikte in den Regionalparlamenten. Der rheinland-pfälzische Infrastrukturminister Lewentz begrüßte die Lärmpausenregelung grundsätzlich. Man werde die Vorschläge darauf prüfen, welche Auswirkungen sich auf die fluglärmbetroffene Bevölkerung in Rheinland-Pfalz hätten. Die Äußerungen aus der Politik können im Detail in den Pressemitteilungen nachgelesen werden.
- Michael Boddenberg: Lärmpausen sind starker Impuls für weitere Verringerung der Lärmbelastung
Pressemitteilung der CDU vom 12.09.2014 - GRÜNE erwarten spürbare Entlastung und setzen auf guten Dialog
Pressemitteilung der Grünen vom 12.09.2014 - Marius Weiß: Hohe Erwartungen können nicht erfüllt werden
Pressemitteilung der SPD vom 12.09.2014 - Lärmverschiebung ist keine Lärmpause: Bündelung von Lärm bringt keine Entlastung
Pressemitteilung der LINKEN vom 12.09.2014 - ROCK: Viel Lärm um nichts
Pressemitteilung der FDP vom 12.09.2014 - Äußerung des rheinland-pfälzischen Infrastrukturministers Lewentz
- Artikel in der FNP zu politischen Reaktionen aus Frankfurt
Fraport steht der Lärmpausenregelung aufgeschlossen gegenüber. Der Unternehmerverband VhU begrüßte die Ankündigung eines Probebetriebs. Man stehe allen Modellen offen gegenüber, aber nur solange sie die Kapazität nicht einschränken: "7-stündige Lärmpausen sind nur zulässig, solange die Kapazität des Weltflughafens nicht beeinträchtigt wird."
Für die Fluglärmkommission ist die Situation ungewohnt: sie bekommt eine Maßnahme von der Politik vorgestellt statt umgekehrt. In der Pressemitteilung wird begrüßt, dass "vom Verkehrsministerium selbst proaktiv und kreativ Maßnahmen zur Reduzierung von Fluglärm entwickelt und diese ergebnisoffen zur Diskussion gestellt werden". Die Kommission will die Modelle sorgfältig prüfen und Kriterien zur Bewertung erarbeiten (und hofft, dass das Ministerium diese dann übernimmt). Noch im Juni hatte sich der Kommissionsvorsitzende Jühe bitter darüber beschwert, dass Minister Al-Wazir selbst Verfahren erarbeiten lässt, anstatt das dem FFR und der Fluglärmkommission zu überlassen (siehe Blog Der Streit um den Fluglärm, Eintrag vom 17.06.2014).
Das Bündnis der Bürgerinitiativen nannte die Lärmpausenregelung einen "verzeifelten Versuch, ein Versprechen einzulösen". Der Lärm werde nicht verringert, sondern nur gebündelt und anders verteilt. Nur ein Nachtflugverbot von 22-6 Uhr und eine Verringerung der Zahl der Flugbewegungen könne eine echte Entlastung erreichen. In einem (sehr gut gelungenen!) Flugblatt der BI Raunheim wird die Lärmpausenregelung satirisch aufs Korn genommen. Anlässlich der Vorstellung der Lärmpausenmodelle für die Fluglärmkommission und den Konvent des Forums Flughafen und Region in Kelsterbach hatten Fluglärmgegner vor dem Veranstaltungsgebäude protestiert und erreicht, dass einige von ihnen bei der ursprünglich nicht-öffentlichen Veranstaltung zuhören durften. Berthold Fuld, Fachexperte des BBI, erläuterte auf der Montagsdemo am 15.09., warum das Lärmpausenkonzept schwierig umzusetzen ist und nicht wie gewünscht funktionieren wird. Der BUND ist zwar skeptisch, ob die Lärmpausen wirklich die gesundheitliche Belastung eines Teils der Betroffenen wirksam reduzieren kann, lobt aber einen Paradigmenwechsel beim Verkehrsministerium; Al-Wazirs Vorgänger hatte selbst das sechsstündige Nachtflugverbot bekämpft. Das Ziel bleibe aber ein Nachtflugverbot von 22-6 Uhr und einen Lärmdeckel am Tag durch Beschränkung der Zahl der Flüge unterhalb der 700000 Aus dem Planfeststellungsbeschluss.
- Pressemitteilung des BBI zu den Lärmpausen vom 12.09.2014
- "Fraport Ausbau Circus", Flugblatt der BI Raunheim
- Bilder vom Protest bei der Vorstellung der Lärmpausen
- Pressemitteilung des BUND Hessen vom 15.09.2014
- Rede von Berthold Fuld auf der 110. Montagsdemo, fachliche Bewertung der Lärmpausenmodelle
- "Viel Kritik an Al-Wazir", Artikel in der FR
Die Kommentare in der Presse sind bunt gemischt, das Spektrum reicht vom vorsichtigen Optimismus bis zum totalen Verriss. Eine kleine Auswahl:
- "Ein Versuch, der sich lohnt", Kommentar in der Frankfurter Rundschau
- "Die Lärmpause ist grün". Kommentar in der FAZ
- Grüner Gründungsmythos oder keine Chance, Kommentar in der Mainspitze
- "Ein Bluff und ein Versprechen", Kommentar bei hr-online
Spätere Reaktionen und Kommentare
- Interview mit Verkehrsminister Al-Wazir zu Lärmpausen und anderen Themen vom 17.09.2014
- Tarek Al-Wazir im Gespräch mit der FAZ, 17.09.2014
Unabhängig davon, was man von der Idee der Lärmpausenregelung hält, gibt es einen positiven Aspekt: der Minister tut überhaupt von sich aus etwas, und er hat die Modelle öffentlich vorgestellt und ermöglicht damit der Region (auch den betroffenen Bürgern), sie zu diskutieren, bevor sie eingeführt werden. Das ist ein Fortschritt gegenüber dem bisherigen Verfahren, bei dem die lärmmindernden Maßnahmen unter Ausschluss der Öffentlichkeit in den Expertengremien des FFR und der Fluglärmkommission festgelegt wurden und die Betroffenen dann die fertige Lösung präsentiert bekamen. Dass der Lärm umverteilt wird und nicht alle Betroffenen gleichermaßen profitieren, wird von Beginn an nicht geleugnet. Es ist zu hoffen, dass in der Region eine breite öffentliche Diskussion (unter Einbeziehung aller betroffenen Bürgerinnen und Bürger) angestoßen wird und eine Entscheidung nicht allein den ansonsten zuständigen Gremien überlassen wird. Die Betroffenen dürfen sich im Kampf gegen den Fluglärm nur nicht auseinander dividieren lassen.
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