Der Chemiekonzern Celanese und Fraport haben sich darauf geeinigt, dass das Chemiewerk Ticona in Kelsterbach geschlossen an einen anderen Standort verlagert wird. Fraport zahlt dafür eine Entschädigung von 650 Millionen Euro. Damit verteuert sich das Ausbauprojekt auf fast 4 Milliarden Euro. Im Gegenzug wird die Ticona ihre Einwendung gegen den Flughafenausbau zurückziehen und auf Klagen verzichten.
Damit haben Fraport und Landesregierung das größte Hindernis für den geplanten Flughafenausbau mit viel Geld weggeräumt. Das Chemiewerk, in dem gefährliche Stoffe verarbeitet werden, würde nach einem Ausbau in nur 70m Höhe von auf der Nordwestbahn landenden Flugzeugen überflogen werden. Sowohl vom Standpunkt der luftverkehrsrechtlichen Hindernisfreiheit als auch wegen des Absturzrisikos auf das Werk wäre dies ein großes Problem gewesen. Klagen wegen Verstoß gegen die Seveso-II-Richtlinie oder gegen ein mögliches Enteignungsverfahren, das Ministerpräsident Koch der Ticona mehrfach angedroht hatte, hätten die Ausbaupläne scheitern lassen oder zumindest lange verzögern können.
Nach offenbar schon monatelang andauernden vertraulichen Verhandlungen, bei denen Ministerpräsident Koch eine maßgebliche Rolle gespielt haben soll, wurden heute die Grundzüge einer Einigung mitgeteilt. Danach soll das Chemiewerk bis zum Juni 2011 geschlossen und danach sollen sofort die Hindernisse für den Flugbetrieb auf dem Werksgelände beseitigt werden. Bis 2015 soll das gesamte Gelände dann in den Besitz der Fraport übergehen. Das Werk soll an einem anderen Standort in Deutschland wieder aufgebaut werden. 20 Millionen wird Fraport der Ticona sofort zahlen, damit mit der Planung der Verlagerung begonnen werden kann, der Rest des Geldes soll dann zwischen 2008 und 2011 fließen. Ticona geht davon aus, dass die 650 Millionen "steuerneutral" vereinnamt werden können. Details für konkrete Verträge sollen in den nächsten Monaten ausgehandelt werden. Die Vereinbarung muss noch am 15. Dezember vom Aufsichtsrat der Fraport und Ende Mai 2007 von der Fraport-Hauptversammlung gebilligt werden; die Zustimmung dürfte aber nur Formsache sein.
Celanese sucht derzeit einen neuen Standort für das Chemiewerk. Im Gespräch sind der Industriepark Höchst oder Ostdeutschland (Leuna). Schon jetzt scheint aber klar zu sein, dass bei der Verlagerung Arbeitsplätze verloren gehen werden. Fraport hat zugesagt, Ticona-Mitarbeiter, die ihren Arbeitsplatz verlieren, in eine Beschäftigungsgesellschaft zu übernehmen, an der auch das Land Hessen beteiligt sein soll.
Fraport revidierte nebenher die bisherige Planung für den Zeitpunkt, an dem die Bahn in Betrieb gehen soll. Bisher war von 2010 die Rede, jetzt wurde der Start des Betriebs auf Mitte 2011 verschoben.
Fraport: "Größtes Hindernis aus dem Weg geräumt"
Fraport-Chef Bender sprach von einem "Pakt der Vernunft". Es gehe darum, aus "Verantwortung gegenüber dem Gemeinwesen und den Menschen" die bisherigen öffentlichen und juristischen Auseinandersetzungen um die Erweiterung des Airports zu beenden. Bender: "Zeit ist Geld. Jeder Tag, an dem der lebhafte Weltmarkt des Flugverkehrs an uns vorbeifliegt, ist ein verlorener Tag für unser Unternehmen, seine Beschäftigten, aber auch für das Land, die Region und deren Menschen".
- Fraport: "Größtes Hindernis aus dem Weg geräumt"
Pressemitteilung vom 29.11.2006
Der Vorstandsvorsitzende der Celanese AG Pohlmann sagte, für das Management von Celanese und Ticona habe die mit dem Konflikt einhergehende Planungsunsicherheit am Standort Kelsterbach den Ausschlag dafür gegeben, eine Einigung mitzutragen. Man suche jetzt mit Hochdruck einen neuen Standort. Die Lieferfähigkeit des Werkes werde nicht gefährdet. Die Einigung solle nicht auf Kosten der Beschäftigten gehen, deswegen habe man mit Fraport eine Abmachung über eine Beschäftigungsgesellschaft getroffen.
- Celanese und Ticona verständigen sich mit Fraport auf eine Lösung im Konflikt um den Flughafenausbau
Pressemitteilung Celanese/Ticona vom 29.11.2006
Die Lufthansa begrüßte die Einigung als wichtigen Schritt zum Bau der dringend benötigten Landebahn. Gleichzeitig warnte die Lufthansa aber vor steigenden Gebühren wegen entstehenden Mehrkosten. Der Frankfurter Flughafen müsse als internationales Drehkreuz wettbewerbsfähig bleiben.
Die hessische Landesregierung begrüßte die Entscheidung. Der geplante Flughafenausbau in Frankfurt habe eine entscheidende Hürde genommen. Ministerpräsident Koch sagte, für den dringend notwendigen Ausbau des Frankfurter Flughafens werde mit dem heutigen Tag an einem ganz entscheidenden Punkt Klarheit geschafft. Koch freute sich, dass eine Lösung gefunden worden sei, die der "Situation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Ticona Rechnung trägt und ihnen neue berufliche Perspektiven eröffnet".
ZRM: Landesregierung zieht falsche Schlüsse aus Sicherheitsproblemen
Ausbaugegner werteten die Vereinbarung als Beweis für ihre Überzeugung, dass eine Landebahn Nordwest und der Betrieb der Ticona nicht zu vereinbaren seien.
Für die "Initiative Zukunft Rhein-Main" sei die fragwürdige "Einigung" zwischen Fraport und Ticona keine gute Nachricht, und für die Menschen rund um den Flughafen schon gar nicht, sagte Landrat Enno Siehr. Die ZRM habe das "Risiko Ticona" erst zum Thema gemacht. Das Land Hessen ziehe jedoch die falschen Schlüsse aus den Sicherheitsproblemen. Der angebliche Jobmotor Flughafenausbau starte mit einer teuren Jobvernichtung - statt dessen sollte man lieber die Ausbaupläne kritisch überdenken. Es stelle sich die Frage, ob man die anderen Ausbauhindernisse auch mit Geld aus der Welt schaffen wolle. Siehr: "Vogelschwärme lassen sich nun einmal auch durch Ablösezahlungen nicht zu anderen Flugrouten bewegen."
Der BUND forderte von der Landesregierung eine Aussage darüber, mit wie teuer der Flughafenausbau wirklich käme, wenn man die Kosten für die Zerstörung unersetzlicher Natur, den Verlust an Siedlungsflächen und die Wertminderung von Immobilien nun noch die Kosten für die Verlagerung der Ticona und die dadurch wegfallenden Arbeitsplätze rechnen. Der Ausbau sei noch nicht gelaufen. Das Risiko des Vogelschlags, die Waldzerstörung und die unzumutbare Zunahme des Fluglärms würden weiterhin unterschätzt.
Der VCD kommentierte bissig, Roland Koch scheue keine Kosten, um den Abbau von Arbeitsplätzen voranzutreiben und "den Weg zum Ausbau mit FRAPORT richtig frei zu pflügen." Vorstandsmitglied Geiss: "Die Region wird dem Flughafen angepasst. Da wäre es doch nur konsequent, für das gesamte Rhein-Main-Gebiet einen neuen Standort weit weg vom Flughafen zu suchen".
Die IG Fluglärm erinnerte daran, dass Fraport mit dem Kauf des Ticona-Geländes nach dem Kauf des ehemaligen Caltex-Geländes schon die zweite große Gewerbefläche für die Erweiterung des Frankfurter Flughafens mit sehr viel Geld aufgekauft hat. Alles in der Rhein-Main-Region solle sich dem Flughafenausbau unterordnen, obwohl die Grenze der Belastbarkeit bereits jetzt erreicht seien, kritisierte der Vorsitzende Dirk Treber.
Sogar die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald meldete sich nach langer Zeit wieder einmal zum Thema Ausbau zu Wort. Fraport solle die vormals von Ticona genutze Fläche zur Kompensation des Waldverlustes durch den Ausbau aufforsten, meinte der Vorsitzende von Eisenhart.
Bürgerinitiativen kritisierten die Vernichtung von Arbeitsplätzen und die Verschwendung von Steuergeldern durch die Ticona-Verlagerung. Es gebe aber noch viele Probleme beim Ausbau, die nicht mit Geld zu lösen seien. Die Landesregierung sollte sich ebenso konsequent für ein wirksames Nachtflugverbot einsetzen wie für den Umzug der Ticona.
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"Kochs Fehler kostet Arbeitsplätze und 650 Millionen EURO"
Der Kelsterbacher Bürgermeister Engisch sagte, er sei "maßlos enttäuscht". Die Vorfestlegung von Ministerpräsident Koch auf die Nordwestbahn habe sich als grundfalsch erwiesen. Nun müsse vermutlich auch noch der Steuerzahler die Zeche für den Umzug der Ticona bezahlen, meinte Engisch. Die Stadt Kelsterbach würde bei einer Schließung des Werkes 1000 Arbeitsplätze und einen wichtigen Gewerbesteuerzahler verlieren.
Der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Frank Kaufmann, meinte, Ministerpräsident Koch habe mit seiner Entscheidung für die Nordwestbahn falsch gelegen und müsse seinen Irrtum jetzt einräumen. Die Verlagerung der Ticona koste Arbeitsplätze und Steuergelder. Die Explosion der Kosten zeige, dass "ein Flughafenausbau im dicht besiedelten Ballungsraum auch ökonomisch ein Irrsinnsprojekt ist."
SPD-Chef Jürgen Walter kritisierte Ministerpräsident Koch: "Kochs Fehler koste Ticona-Beschäftigte Arbeitsplätze und Fraport 650 Millionen Euro". Die SPD habe den Betrieb der Ticona und die Landebahn im Gegensatz zur Landesregierung schon immer für unvereinbar gehalten und damit recht behalten. Die Fehler der Landesregierung führten zu weiteren zeitlichen Verzögerungen beim Ausbau, kommentierte Walter die Ankündigung, dass die Landebahn erst 2011 in Betrieb gehen solle.
Der Vorsitzende der FAG Rahn befürchtet, dass Fraport versuchen wird, die Erhöhung der Kosten für den Ausbau dadurch wieder hereinzuholen, dass man die Flugbewegungszahl möglichst schnell auf das höchstzulässige Maximum bringt. 701 000 Flugbewegungen könnten so schon vor 2020 erreicht werden, danach würde die technisch mögliche Kapazität von bis zu 1 Mio. Flugbewegungen angepeilt: "Das wäre der akustische Super-Gau für die Region".
Die Chemiegewerkschaft forderte den Verbleib der Ticona im Rhein-Main-Gebiet und sprach sich für einen Umzug in den Industriepark Höchst aus.
Bei Ticona war die Stimmung nach einem Stimmungsbericht in der Frankfurter Rundschau eher gedrückt. Mit den Journalisten reden wollten die meisten Mitarbeiter nicht.
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