Erörterungstermin - Bericht vom 22.09.2005
Der Gutachterstreit - ist die Luftverkehrsprognose der Fraport zu hoch?
Von: @cf <2005-09-22>

Das Thema des heutigen Tages waren Gutachten zur Luftverkehrsprognose. Ein von der "Initiative Zukunft Rhein-Main" vorgelegtes Gutachten geht von nur 60-73 Millionen Passagieren am Frankfurter Flughafen im Jahr 2015 aus. Diese Passagierzahl wäre auch ohne Ausbau abzuwickeln.

Zu Beginn der Sitzung vom 22. September wurde die Diskussion des Gutachtens G8 aus den Planfeststellungsunterlagen in Anwesenheit des Gutachters (Dr. Schubert, Intraplan) fortgesetzt. Wesentliche Aussage des Gutachtens: für das Jahr 2015 geht man von 82 Millionen Passagieren aus.

Der Versammlungsleiter forderte, zunächst nur einen Detailpunkt, das "Basisjahr"der Prognose zu diskutieren. Der Gutachter hatte das Ausgangsjahr seiner Prognose, das Jahr 2000 - das ja schon etwas zurück liegt - damit gerechtfertigt, in den Jahren 2001 und 2002 hätte es nicht im Modell abbildbare Sondereinflüsse (Anschläge vom 11. September) gegeben und für spätere Jahre wären zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens (2004) noch keine statistischen Daten verfügbar gewesen. Trotz der engen Einschränkung des Diskussionsthemas schafften es zwei Privateinwender, ihre gesamte Einschätzung der Problematik "um das Basisjahr herum" vorzutragen.

Ein Offenbacher Einwender bemerkte, es gebe überhaupt kein "Normaljahr", in allen Jahren gebe es immer Sondereinflüsse. So hätte im Jahr 2000 Fraport für den Börsengang ein erfolgversprechendes Szenario konstruieren müssen. Man hätte im Jahr 2004 durchaus das Jahr 2005 als Basisjahr nehmen können, eine detaillierte Budgetplanung (wie sie in einem großen Unternehmen vorliegt) sei besser als veraltete Ist-Zustände.

Herr Faulenbach da Costa machte auf Inkonsistenzen in verschiedenen Prognosen des Gutachters Schubert aufmerksam: Im Bundesverkehrswegeplan, im Gutachten für das Planfeststellungsverfahren Frankfurt und im Gutachten zum Planfeststellungsverfahren für Kassel-Calden werden ganz unterschiedliche Verkehrszahlen prognostiziert. Für den Flughafen Frankfurt sind im Kassel-Gutachten (von 2005) 2160 Flugbewegungen prognostiziert, deutlich mehr als für das PFV Frankfurt (die Kassel-Prognose ergibt umgerechnet 757 000 Bewegungen pro Jahr !!).
Zudem würden die in der Prognose enthaltenen Werte für das Jahr 2005 in der Realität weit verfehlt. Für 2005 sei in der Prognose mit 499 999 Flugbewegungen und 56 Millionen Passagieren (real werden es mindestens 4 Millionen weniger sein) gerechnet worden. Für das Jahr 2010 sage das Gutachten 72 Millionen Passagiere und 597 000 Bewegungen voraus, was gar nicht sein könne, da die neue Bahn frühestens 2009 in Betrieb gehen würde.

Der Gutachter räumte ein, dass die prognostizierten Zahlen in für 2005 nicht erreicht würden, weil das Wirtschaftswachstum kleiner gewesen sei als in seiner Annahme (die Annahme ist 2,7% - alle bundesdeutschen Politiker würden da Freudensprünge machen ...). Der Wert für 2010 sei unter der Voraussetzung errechnet, dass die Bahn 2006 in Betrieb geht und in 2010 ein eingeschwungener Zustand ohne Engpässe herrsche. Kurz vor Redaktionsschluss (Juni 2004) sei die Zeitverschiebung bekannt gewesen, deshalb sei seine Prognose für die "Initiative Luftverkehr (78 Millionen Passagiere) niedriger. Die Zahlen aus der Prognose für Kassel seien zum Vergleich nicht geeignet (darauf ein Einwender: im Kassel-Gutachten behauptet der Gutachter, dass die Prognose konsistent mit anderen Studien sei). Für Frankfurt ergebe sich eine "Phasenverschiebung", die prognostizierte Passagierzahl werde 1-2 Jahre später erreicht.

Herr Amann (Fraport) sieht das alles ganz einfach: für Fraport sei nur die Größenordnung interessant - es sei egal, ob es 78 oder 82 Millionen Passagiere seien). "Nach heutigen Annahmen gehen wir von 79 Millionen aus, das spricht für die Stabilität unserer Prognose"". Bei den Auswirkungsprognosen sei man mit einer zu hohen Verkehrsprognose auf der sicheren Seite.

Die Auseinandersetzung wurde daraufhin schärfer: Herr Faulenbach da Costa meinte, die Prognose sei wie eine Sanduhr - was immer man oben hinein kippt, unten kommen immer nur etwa 80 Millionen Passagiere raus. Es dürften aber nur 657000 Bewegungen sein, also werde mit dem Flugplan getrickst. Darauf Gutachter Schubert: Wollen Sie sagen, ich mache meine Gutachten nach Wunsch des Auftraggebers? Faulenbach da Costa: es gibt Stellschrauben, um die Zahl der Flugbewegungen zu beeinflussen, das wurde gemacht.

Versammlungsleiter Gaentzsch merkte an, man rede hier über eine Prognose, die den Ausbau rechtfertigen soll. Einwender müssten hier geltend machen, dass die Prognose zu hoch sein. Bei den Berechnungen der Auswirkungen müssten sie argumentieren, die Prognose sei zu niedrig und unterschätzte deshalb die Auswirkungen. Eine Prognose sei nicht deshalb fehlerhaft, weil sie später nicht eintreffen würde, sie müsse nur im Zeitpunkt der Aufstellung richtige Daten verwenden und methodisch korrekt erstellt worden sein. Wenn eine später erstellte Prognose zu anderen Ergebnissen kommen, sei die frühere Prognose deshalb nicht falsch. Die Planfeststellungsbehörde könne vor ihrer Entscheidung allerdings eine Aktualisierung verlangen. Auch wenn solche Anmerkungen keineswegs "neutral" erscheinen - man bekommt wenigstens rechtzeitig mit, wie das Bundesverwaltungsgericht die Sache sehen würde ...

Ein sehr sachkundiger Privateinwender führte aus, die Sache laufe hier zu simpel und praxisfern und nannte das Niveau des Gutachtens "Stunde für Statistik im 5. Semester". Der Planungshorizont sei viel zu kurz, man könne in der heutigen Situation (der Luftverkehr befindet sich im Umbruch) keine lineare Prognose machen. Hier werde das Geld des Steuerzahlers zum Fenster hinausgeworfen. Die wachsende Bedeutung von Punkt-zu-Punkt-Verkehr, von Billigfliegern und die Stärkung des "dezentralen Europaverkehrs" bei Lufthansa, der geplante Ausbau des Flughafens München und die Übernahme der Swiss durch Lufthansa (dritter Lufthansa-Hub in Zürich), die geplante Einrichtung eines Mega-Hubs in Dubai und der unweigerlich über die nächsten Jahre steigende Öl/Kerosinpreis seien im Fraport-Gutachten nicht berücksichtigt." (Zusammenstellung der Argumente hier zum Download)
Gutachter Schubert meinte dazu, einige dieser Faktoren seien zu neu und hätten nicht berücksichtigt werden können, aber eine Sensitivitätsanalyse hätte die Stabilität der Prognose bestätigt, man brauche keine neue Prognose. Er blieb bei seiner Einschätzung, die Flugpreise würden konstant bleiben, weil die Steigerungen des Kerosinpreises durch andere Faktoren (z.B. Rationalisierung) ausgeglichen würden. Billigflieger würden in Frankfurt keine Rolle spielen.

Nach der Pause stellte der Gutachter der "Initiative Zukunft Rhein-Main" von der Firma Regio-Consult, Wulf Hahn, sein Gegengutachten vor. Er bezeichnete die Fraport-Prognose als fehlerhaft, weil falsche und/oder überholte Annahmen und Daten verwendet worden seien. Zudem könne man in der momentanen Situation, wo es im Luftverkehr einen Strukturwandel geben, nicht mit einer linear fortgeschriebenen Prognose arbeiten, sondern müsse verschiedene Szenarien betrachten. Nach seiner Berechnung seien nur zwischen 60 uns maximal 73 Millionen Passagiere für 2015 zu erwarten. Als Hauptkritikpunkte am Fraport-Gutachten nannte Hahn:

  • die demografische Entwicklung und Änderung der Alterstruktur wird nicht ausreichend berücksichtigt. In Hessen würde die Anzahl der besonders einkommensstarken und mobilen Einwohner von 20-59 Jahre bis 2050 um bis zu 33% abnehmen, Ältere Menschen würden weniger fliegen
  • das Bruttoinlandsprodukt steigt schwächer als angenommen
  • die Einkommen der Menschen gehen in den letzten Jahren eher zurück, es ist weniger Geld für Verkehr im allgemeinen und damit auch für Flugreisen verfügbar (Schätzung: -minus 17% bis 2040, keine schönen Aussichten)
  • Durch sinkende Bahnfahrzeiten können mehr Flüge auf die Bahn verlagert werden, im Gutachten sind dazu nicht die neusten Daten verwendet
  • Die Flugpreise werden wegen steigender Ölpreise nicht stabil bleiben, sondern ansteigen. Im Jahr 2015 seien bereits 105 Dollar/Barrel möglich (heute um die 70). Steigende Flugpreise führen zu einer Dämpfung der Nachfrage
  • die Konkurrenz von München, Zürich und auch Dubai wird Passagiere (vor allem Umsteiger) von Frankurt abziehen
  • Die Billigflieger, die in Frankfurt kaum vorkommen, werden ebenfalls Passagiere von Frankfurt abziehen
  • In der Consave-Studie der DLR (also einer Studie der Luftverkehrswirtschaft selbst), in der verschiedene Szenarien für das Wachstum des Luftverkehrs in der Zukunft untersucht werden, kommt nur das optimistischste Szenario ("unlimited skies", also keinerlei Einschränkungen des Luftverkehrs) zu Steigerungsraten, die in Frankfurt zu 80 Millionen Passagieren führen. An dieses Szenario glaubt aber nicht einmal die Luftverkehrswirtschaft. In den realistischeren Szenarien, in denen es einige Einschränkungen gibt, kämen im besseren Fall etwa 74 Millionen und im schlechteren Fall nur 60 Millionen Passagiere heraus.
  • Methodischer Mangel: Im Gutachten Luftverkehrsprognose ist die Zahl der Flugreisen abhängig von der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukte; bei den Gutachten zu den Arbeitsplatzwirkungen der Fraport ist es umgekehrt
  • Verschiedene Szenarien werden nicht betrachtet

Die zentrale Aussage von Gutachter Hahn:
Die Luftverkehrsprognose der Fraport ist um mindestens 17-22 % zu hoch angesetzt, dies wird durch die Sensitivitätsanalyse bestätigt. Bis zu 70 Millionen Passagiere könnten nach anderen Gutachten ohne Ausbau in Frankfurt bedient werden.

Im Anschluss diskutierten die beiden Gutachter intensiv miteinander. Dabei reagierte Fraport-Gutachter Schubert höchst gereizt. Er kritisierte, Hahn habe kein eigenes Berechnungsmodell aufgestellt ("dazu wäre ihre Firma auch nicht in der Lage"), sondern nur sein Gutachten zerpflückt, und verteidigte seine Annahmen, ohne dabei zu überzeugen. Im Verlaufe der Diskussion wurde er richtig böse ("wir haben alles richtig gemacht, sie haben einiges nicht verstanden") und betonte das Intraplan ein renommiertes Institut mit großer Erfahrung und besten Verbindungen überall hin sei ("wir haben alle Daten, Sie nicht!"). Der Gutachter Hahn ließ sich jedoch nicht einschüchtern und konnte Paroli bieten.

Weitere Argumente und Fragen, die von Anwälten oder Einwendern vorgebracht wurden:

  • lohnt sich der Ausbau noch, wenn man die entstehenden Schäden einrechnet?
  • gelten die Prognosen über das Luftverkehrswachstum, die eigentlich zur Abschätzung eines globalen Bedarfs angefertigt wurden, auch für einen einzelnen Flughafen, insbesondere wenn an diesem Flughafen die Lufthansa/Star Alliance 60% Marktanteil hat?
  • der Bedarf an Flugreisen entwickelt sich nur so stark, weil Flugreisen stark subventioniert werden. Dies behindert die Entwicklung anderer Verkehrsmittel und von Branchen, die nicht subventioniert werden. Es soll eine Bedarfsprognose erstellt werden für den Fall, dass der Luftverkehr wie alle anderen auch Steuern zahlen muss
  • "Was hier ausgerechnet wird, hat mit dem tatsächlichen Bedarf nichts zu tun. Es wird nur geklärt, was könnte hier stattfinden, wenn ausgebaut wird. Man stellt die Anlage hin und fragt dann, wen könnten wir einladen, von hier zu fliegen"

Es wurden mehrere Anträge gestellt, eine neue/aktualisierte Luftverkehrsprognose über einen längeren Zeitraum erstellen zu lassen. Rechtsanwalt Schröder beantragte, ein Gutachten zur Planrechtfertigung vorzulegen, dass den Bedarf für das dieses Vorhaben an diesem Standort nachweist, und ein getrenntes Gutachten, dass die Auswirkungen bei Vollauslastung darstellt. Außerdem solle die Lufthansa zum Thema gehört werden.

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