"Wirtschaftsminister Dieter Posch (FDP) hat sich meilenweit von den Interessen der Menschen entfernt", kritisiert Brigitte Martin, Vorstandsprecherin des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND): "Dass der Hessische Wirtschaftsminister nun sogar persönlich für die Nachtflüge am Frankfurter Flughafen vor Gericht kämpfen und damit seinen Wortbruch gegenüber den lärmbetroffenen Menschen in der Rhein-Main-Region zur Vollendung bringen will, ist ein Tiefpunkt politischer Glaubwürdigkeit".
Der BUND ist trotz der bereits erfolgten Waldrodungen weiterhin optimistisch, den Ausbau des Frankfurter Flughafens noch zu stoppen, weil die vorläufige Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes Kassel (VGH Kassel) gleich in mehreren Punkten im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) steht. "Noch ist nichts entschieden und noch können wir etwa ein Drittel des bedrohten Waldes vor der Rodung retten", stellt BUND Vorstandssprecherin Brigitte Martin klar.
Mit der Ankündigung zur persönlichen Teilnahme von Minister Posch an der Gerichtsverhandlung wird der Wortbruch der Landesregierung zum Nachtflugverbot unübersehbar. Nachdem der Bevölkerung jahrelang als Ausgleich für die ausbaubedingten weiteren Lärmbelastungen wenigstens ein striktes Nachtflugverbot von 23 bis 5 Uhr versprochen wurde, hatte die Landesregierung am 18. Dezember 2007 ihr Wort gebrochen und für die so genannte 6-stündige "Mediationsnacht" 17 Nachtflüge genehmigt. Mit durchschnittlich 150 Nachtflügen in der 8-stündigen "gesetzlichen Nacht" von 22 bis 6 Uhr wurden darüber hinaus mehr Nachtflüge genehmigt als die Fluggesellschaften bislang jemals in Frankfurt geflogen sind. Selbst gegenüber den letzten vier Jahren (2005 - 2008) beträgt die Zunahme mit einem Plus von über 11 Nachtflügen noch mehr als acht Prozent. Vergleicht man die Genehmigung mit den Bedingungen zur Zeit der so genannten Mediation (1999/2000), in denen eine Reduktion des nächtlichen Fluglärms unter Beteiligung der Lufthansa und der Fraport AG versprochen wurde, dann beträgt die Zunahme der Nachtflüge durch den Flughafenausbau sogar über 20 % bzw. ein Plus von 26 Nachtflügen.
Der Wunsch des Wirtschaftsministers an allen 12 gerichtlichen Verhandlungstagen persönlich teilzunehmen kam überraschend. Denn erst gut eine Woche nach der offiziellen Meldung der Prozessteilnehmer des Landes ließ Minister Dieter Posch (FDP) am vergangenen Mittwoch das Gericht wissen, dass er selbst und zusätzlich auch noch Staatssekretär Klaus-Peter Güttler sowie der Abteilungsleiter Verkehr des Ministeriums an der gesamten Gerichtsverhandlung teilnehmen wollen. Welchen Grund das plötzliche Interesse des Ministers hat, kann dem Schreiben an das Gericht nicht entnommen werden. Doch nun kann der Minister den Richtern persönlich erläutern, warum er die Entscheidung des VGH heute bekämpft, obwohl er sie im Wahlkampf noch euphorisch begrüßt hatte:
"Die FDP werde darauf drängen, dass die gerichtliche Entscheidung umgesetzt wird. Politisch ist ein verbesserter Schutz der Nachtruhe immer von der FDP gewollt worden." (FDP Pressemitteilung vom 15.01.2009)
Die optimistische Einschätzung des BUND Hessen hinsichtlich der eigenen Klageaussichten beruht unter anderem auf den nach der Eilentscheidung des VGH Kassel eingetretenen neuen Erkenntnissen. So hat der Wirtschaftsminister selbst zur Frage Vogelschutzes im Vogelschutzgebiete Mönchbruch ein neues Gutachten vorgelegt und die Fraport musste einräumen, dass ihre Bestandsaufnahmen zu geschützten Tierarten mangelhaft waren.
Der BUND begründet seine Klage mit zahlreichen Verstößen gegen das Naturschutzrecht. Durch das Vorhaben werden etwa 300 Hektar Wald gerodet, der überwiegend nach Landesrecht als „Bannwald“ geschützt ist, weil er für die Menschen im Umfeld zahlreiche Schutzwirkungen hat. Die Waldrodung übertrifft die Rodungen für die Startbahn 18 West um ca. 100 Hektar deutlich.
Einen schweren Fehler enthält der Planfeststellungsbeschluss ferner, weil er die Schadwirkung des Stickstoffeintrages auf geschützte Waldlebensräume in den europäischen Schutzgebieten rund um den Flughafen bestreitet. Die Argumentation des Landes ist für den BUND-Naturschutzreferenten Thomas Norgall "schlicht abenteuerlich", weil hier ökologisches Grundwissen mit wissenschaftlich unhaltbaren Thesen in Frage gestellt wird. Das Hessische Wirtschaftsministerium hat sich im Laufe des Verfahrens immer tiefer in Widersprüch verstrickt: Hatte es im Genehmigungsverfahren noch behautet, dass die Eichen im Kelsterbacher Wald wegen starker Schäden durch Schadstoffe absterben, hieß es im Genehmigungsbescheid selbst plötzlich, dass die selben Bäume "vital" seien. Im Klageverfahren erfolgte dann der neuerliche Meinungswandel. Nun behauptet das Land wieder wieder, dass die Eichen absterben, jedoch soll hierfür nicht die Schadstoffbelastung, sondern dafür ausschließlich Wassermangel dafür verantwortlich sei. Das hin und her der Behauptungen belegt für BUND-Naturschutzreferenten Thomas Norgall jedoch vor allem eines: "Klar ist nur, dass alles unklar ist." Folgt das Gericht dieser Einschätzung des BUND, so ist der Planfeststellungsbeschluss automatisch rechtswidrig, denn die gefestigte Rechtsprechung fordert bei europäischen Schutzgebieten gesicherte Prognosen unter Berücksichtigung des wissenschaftlichen Kenntnisstandes.
Weiter bekräftigen Bestandserhebungen der Fraport aus 2008, dass das Land es versäumt hatte, den Kelsterbacher Wald als europäisches Vogelschutzgebiet auszuweisen. Folgt das Gericht in diesem Punkt dem BUND, so muss es die Ausbaugenehmigung für rechtswidrig erkennen.
Bereits seit dem Jahr 2002 weist der BUND ferner auf die ungeklärten Sicherheitsprobleme hin, die durch das Vogelschlagrisiko entstehen. In der Genehmigung wurde die Fraport deshalb zum Aufbau einer lückenlosen Beobachtung des Vogelfluges aufgegeben, doch immer noch ist unklar, ob das erst in der Erprobung befindliche Verfahren auch funktionieren kann.
Außerdem werden durch das Vorhaben mehrere Schutzgebiete schwer geschädigt, ohne dass hierfür der vorgeschriebene Ausgleich erfolgt. Zwar ist die vorgesehene Ausgleichsfläche mit über 1.000 Hektar beachtlich, doch auf dem Großteil dieser Fläche sei die Bezeichnung Ausgleichsfläche nur Etikettenschwindel , denn es sollen dort gar keine Maßnahmen stattfinden. Auf anderen Flächen sollen Maßnahmen, wie das Aufhängen von Nistkästen für Spechte oder das Aufstellung zuvor gefällter Bäume in den Restwaldflächen durchgeführt werden, die für den BUND ebenfalls Etikettenschwindel sind und von ihm als "Öko-Schwachsinn" bezeichnet werden.
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