KREIS GROSS-GERAU - 356 Seiten und 24 detaillierte Anlagen: Der Kreis Groß-Gerau geht mit einer von Inhalt und Umfang gleichermaßen gewichtigen Klageschrift in die juristische Auseinandersetzung um den geplanten Bau der Nordwest-Landebahn am Frankfurter Flughafen. Erklärtes Ziel des Kreises, so Landrat Enno Siehr: "Der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel wird aufgefordert, den Planfeststellungsbeschluss zum Ausbau des Frankfurter Flughafens aufzuheben!"
Die vom Kreis beauftragten Rechtsanwälte Ursula Philipp-Gerlach und Dirk Teßmer führen dazu gleich ein ganzes Bündel an Argumenten an. Der Planfeststellungsbeschluss weise schwerwiegende und konzeptionelle Mängel auf. So seien etwa in der Frage der Fluglärmauswirkungen nicht die Interessen von Fraport und Anwohnern gegeneinander abgewogen worden. Der Planfeststellung liege kein ausgewogenes Schallschutzkonzept zugrunde, Luftschadstoffbelastung, Sicherheit und das behauptete öffentliche Interesse am Ausbau seien nicht hinreichend untersucht worden. Darüber hinaus gebe es Verstöße gegen nationales und europäisches Naturschutzrecht. Aus diesen Gründen sei der Planfeststellungsbeschluss rechtswidrig und, so die Rechtsanwälte in ihrer Zusammenfassung, daher aufzuheben.
Die Klage des Kreises konzentriert sich dabei insbesondere auf diejenigen Teile der Planfeststellung, in denen die Rechte des Kreises als Schulträger und als Eigentümer der Kreisstraße 152 ("Okrifteler Straße") verletzt werden.
So liege nicht nur kein ausgewogenes Schallschutzkonzept für die kreiseigenen Schulen vor. Vielmehr lege der Planfeststellungsbeschluss noch nicht einmal Lärmschutzzonen eindeutig fest. Allein diese Unbestimmtheit macht den Beschluss nach Auffassung des Kreises rechtswidrig. Im Planfeststellungsbeschluss dient darüber hinaus einzig das novellierte Fluglärmgesetz als Grundlage für den Schallschutz. Mit möglicherweise kuriosen Folgen: Denn Schallschutzmaßnahmen, die aufgrund des Ausbaus notwendig werden können, muss der Kreis an den meisten seiner Schulen selbst finanzieren und zudem mit einem Verbot von Neu- oder Erweiterungsbauten an Schulen in bestimmten Zonen rechnen.
Nicht einmal die Nachtruhe zwischen 23 Uhr und 5 Uhr wird in der Planfeststellung gesichert. Denn der Beschluss lässt entgegen aller Zusagen regelmäßigen Flugverkehr in den Nachtstunden zu, und dies ohne den Nachweis zu führen, dass dafür tatsächlich ein dringender Bedarf besteht. Auch verstößt der Beschluss in diesem Punkt gegen den Rechtsgrundsatz, wonach niemandem etwas zugesprochen werden darf, was dieser gar nicht beantragt hatte: Fraport aber, dies wird in der Klageschrift des Kreises eindeutig nachgewiesen, hat seinen Bauantrag ganz ausdrücklich mit einem Nachtflugverbot im Sinne des Mediationsverfahrens verbunden.
Ein weiterer zentraler Klagepunkt ist die im Ausbaufall mangelhafte Verkehrsanbindung des Flughafens. So konnten die Anliegerkommunen schon im Verlauf der Anhörung nachweisen, dass die von Fraport vorgelegten Gutachten das durch den Ausbau zusätzlich zu erwartende Verkehrsaufkommen sträflich unterschätzen. Für die Okrifteler Straße betrifft dies insbesondere den Verkehrsknoten am Airportring und die Anbindung an die B 43 – beide wären nach Auffassung des Kreises im Ausbaufall hoffnungslos überlastet und müssten mittelfristig mit kommunalen Mitteln angepasst werden. Und obwohl eine ordnungsgemäße Verkehrserschließung zwingende Voraussetzung für eine Ausbaugenehmigung ist, übernehme der Planfeststellungsbeschluss hier die fehlerhaften Gutachten von Fraport.
Schwerwiegende Fehler sieht der Kreis auch im Bereich der Baulogistik. Laut Planfeststellungsbeschluss soll nahezu der gesamte Baustellenverkehr für die neue Landebahn über eine Brücke im Verlauf der K152 über die A 3 abgewickelt werden. Dort wurden vom Amt für Straßen- und Verkehrswesen jedoch Sicherheitsmängel festgestellt, die in Kürze zu einer Sperrung für LKWs über 16 Tonnen führen werden. Dieser Transportweg wird auf absehbare Zeit nicht für schwere Baufahrzeuge zu nutzen sein, deshalb hält der Kreis den Planfeststellungsbeschluss auch in diesem Punkt für rechtswidrig. Zumindest, so die Klageschrift, müsse nun in einer ergänzenden Planfeststellung geklärt werden, wie eine Baustellenzufahrt auf andere Weise geregelt werden kann.
Auch in den Bereichen Sicherheit und Naturschutz weist die Planfeststellung nach Auffassung des Kreises gravierende Fehler auf. Zudem finde sich in den Unterlagen keinerlei Beleg für die unentwegt vorgetragene Behauptung von Fraport, der Flughafen verliere im Falle eines Nicht-Ausbaus seine Funktion als internationales Drehkreuz. Und der Planfeststellungsbeschluss gehe auch weiterhin nur von der von Fraport vorgelegten Prognose von 700.000 Flugbewegungen pro Jahr aus. Technisch möglich, so der Kreis, seien aber rund 900.000 Starts und Landungen, und diese Zahl hätte für der Abschätzung der Ausbau-Auswirkungen auch zu Grunde gelegt werden müssen.
Insgesamt, so das kritische Fazit von Landrat Enno Siehr, vermittle der Planfeststellungsbeschluss den Eindruck, dass dort das Für und Wider eines Ausbaus überhaupt nicht mehr kritisch abgewogen worden sei: "Hier wurde versucht, eine politische Festlegung pro Ausbau im Nachhinein rechtlich abzusegnen." Mit seiner Klage wolle der Kreis dies verhindern und zugleich endlich den Weg frei machen für eine sachliche Diskussion über die Zukunft des Flughafens. Dafür wisse man sich juristisch gut gerüstet: "Wir gehen mit guten Argumenten nach Kassel und sehen der dortigen Entscheidung zuversichtlich entgegen!"
PFV Landebahn Nordwest Planfeststellungsbeschluss zum Ausbau des Frankfurter Flughafens Klage (vor Gericht) Kreis Groß-Gerau