Erörterungstermin - Bericht vom 26.09.2005
Luftverkehrsprognose: viele Forderungen nach neuem Gutachten
Von: @cf <2005-09-26>

Heute wurde den ganzen Tag über das Fraport-Gutachten zur Luftverkehrsprognose (Gutachten G8) diskutiert. Die Glaubwürdigkeit des Gutachtens wurde dabei deutlich erschüttert, es gab viele Anträge auf ein neues Gutachten.

Der Fraport-Gutachter, Dr. Schubert von Intraplan, war bis zum Nachmittag anwesen. Auch der ZRM-Gegengutachter Hahn (RegioConsult) war vertreten.

Zu Beginn fasste der Verhandlungsleiter Gaentzsch die bisher geäußerten Kritikpunkte am Fraport-Gutachten zusammen:

  • Basisjahr 2000 ungenügend
  • Datenmaterial für Prognose überholt
  • wichtige Faktoren in den Annahmen nicht berücksichtigt (Ölverknappung, neuer Hub in Dubai, Verlagerung nach München, Trend zu größeren Flugzeugen, gesteigerte Attraktivität der Bahn)
  • Widersprüchliche Annahmen
  • zur Prognose Daten von anderen Flughäfen verwendet, die nicht genannt werden dürfen
  • Unterschiedliche Prognose für Frankfurt im Gutachten für Kassel-Calden und im Fraport-Gutachten
  • Prognose zielt nur auf wirtschaftliche Interessen ab, kein öffentlicher Bedarf
  • Umsteiger verursachen keinen Bedarf im Sinn des Luftverkehrsgesetzes
  • weitere Details seien im Protokoll und würden berücksichtigt.

Gaentzsch sagte sinngemäß: "Es ist nicht meine Aufgabe, das Gutachten G8 zu beurteilen. Ein Einwender muss das Gutachten nicht verstehen, es genügt, wenn er Fragen stellt oder Zweifel äußert". Wer sich allerdings "hinstelle und im Brustton der Überzeugung sage, das Gutachten sei falsch", der solle es sorgfältig gelesen haben. Gaentzsch mahnte eine Redezeitbegrenzung auf 10 Minuten an.

Methodenkritik

Als erster Experte diskutierte Prof. Martin Führ vom Vorstand der Rhein-Main-Instituts mit dem Fraport-Gutachter Schubert über die Methodik des Gutachtens. Nachdem Schubert die Frage bejaht hatte, ob er ein "wissenschaftliches Gutachten" vorgelegt habe, stellte Führ fest, das "Gutachten müsse sich dann auch anhand wissenschaftlicher Maßstäbe messen lassen".

Erster Kritikpunkt waren die Annahmen der Prognose. Das Fraport-Gutachten gibt das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP), gestützt auf den Bundesverkehrswegeplan, mit 2,1% pro Jahr an; für das Rhein-Main-Gebiet wird ein Wachstum von 2,7% pro Jahr unterstellt. Dies sei viel zu hoch. Gutachter Schubert räumte ein, dies erscheine aus gegenwärtiger Perspektive sicherlich "arg optimistisch", man dürfe sich aber nicht vom Zeitgeist bestimmen lassen.
Angesprochen auf die Frage der Billigflieger wies Schubert darauf hin, Billigflieger seien für den Standort Frankfurt/Rhein-Main von nur untergeordneter Bedeutung und das würde auch so bleiben. Führ sagte, immerhin könnten Billigflieger an anderen Flughäfen dem Frankfurter Flughafen Marktanteile abnehmen, was dann doch prognoserelevant sei. Führs Einschätzung, durch die Billigflieger gebe es einen rasanten Strukturwandel im Luftverkehr, stimmte der Fraport-Gutachter zu.

Danach ging Führ auf die Aussage des Fraport-Gutachters ein, seine Prognose sei "im oberen Bereich der möglichen Bandbreite" anzusiedeln. Wäre es nicht ein Gebot wissenschaftlicher Redlichkeit, neben einer "oberen" auch eine "untere Leitplanke" anzugeben? Auf diese Frage antwortete Schubert ausweichend, bestätigte aber sinngemäß, dass Prognosen immer mit einem gewissen Unsicherheitsspielraum verknüpft seien. Er gehe mittlerweile von einer Phasenverschiebung aus, wonach die prognostizierte Passagierzahl erst 1 bis 2 Jahre später erreicht würden. Auf eine erneute Nachfrage intervenierte Herr Amann, Fraport, und meinte an dem Wert sei nicht zu rütteln. Amann: "Wenn der Gutachter zu einem Wert kommt, ist das der Prognosewert. Andere Faktoren führen zu einem anderen Wert, aber dafür hatte er keinen Auftrag. Die Sensitivitätsanalyse dient nur dazu zu erkennen, ob das Ergebnis stabil ist, und wir meinen es ist stabil". Die Frage, ob von Seiten des Gutachters in irgendeiner Form jemals ein Prognose-Korridor oder eine "untere Leitplanke" genannt worden sei, wurde vom Gutachter als auch von Fraport verneint. Auch eine Aussage darüber, ob aus wissenschaftlicher Sicht nicht ein Prognosekorridor geboten sein, machte Schubert nicht.

Als Beweis für den tiefgreifenden Strukturwandel im Luftverkehr durch Billigflieger nannte Führ die Entwicklung des Passagieraufkommens der Lufthansa (als wichtigstem Kunden von Fraport) im 1. Halbjahr 2005 verglichen mit dem 1. Halbjahr 2004. Laut FAZ vom 13.07.2005 gab es hier einen Zuwachs von 0,2%, das sind wesentlich weniger als im Gutachten prognostiziert. Air Berlin sei im gleichen Zeitraum um 15%, HLX sogar um 40% gewachsen. Die Fraport-Prognose gehe trotz Strukturwandel seit Jahren unverändert von dem gleichen Prognosewert aus. Am Rande: Weder der Gutachter noch Fraport konnten die Zahlen nennen.

Während die Zuhörer die direkte Diskussion zwischen den Experten als informativ und interessant betrachteten, schien sie Versammlungsleiter Gaentzsch weniger zu gefallen. Er bestritt das Recht, "die Intentionen des Gutachters auszuforschen", fragte, ob eine untere Grenze für die Prognose für die Planrechtfertigung relevant sei und meinte schließlich zu Führ: "Sie reden zu lange". Führ stellte den Antrag, ein neues Gutachten zu erstellen, das Szenario-Technik einsetzt, eine Bandbreite für die Prognose bestimmt und aktuelle Annahmen verwendet.

Auch sachverständige Privateinwender fanden viele Kritikpunkte

Herr Paulitsch, Einwender aus Offenbach, präsentierte einen umfangreichen Fragenkatalog, der hier im Original nachgelesen werden kann. Antworten gab es nicht. Paulitsch forderte eine Betrachtung des Ausbaus unter volkswirtschaftlichen Aspekten. So sei ein Ausbau für 20 Millionen Umsteiger und 3 Millionen Originärpassagier nicht im öffentlichen Interesse, sondern eine verdeckte Subvention für die Luftverkehrswirtschaft.

Ein interessantes Detail am Rande war die Forderung nach Abbau von Subventionen und Steuerprivilegien. Es wurde berichtet, dass der Flughafen Stansted (London) ausgebaut werden soll, wobei die Infrastrukturkosten (Straßen zum Flughafen etc.) von der BAA (Flughafengesellschaft) bezahlt werden sollen. Die öffentliche Hand soll nur einen Anteil für die Menschen zahlen, die die Straßen benutzen, ohne zu fliegen. BAA selbst sage, man müsse sich um das Kyoto-Protokoll kümmern, Fraport solle sich da ein Beispiel nehmen. Dazu Versammlungsleiter Gaentzsch: "Überlegungen zur künftigen Umweltpolitik stehen hier nicht rechtlich zur Diskussion ... Wir können nicht diskutieren, wie ein Fraport-Gutachten aussehen könnte, wenn man andere Annahmen macht".

Ein weiterer Einwender fragte, wie die Annahme für die Flugpreise zustande komme. Gutachter Schubert antwortete, man habe die Preise, die man über das Preismodell für 2000 ermittelt habe, bis 2015 konstant gehalten. Auf Nachfragen des Einwenders, wie er denn zu dieser Annahme komme, gab Schubert keine Antwort: "Es ist eine Annahme". Wie die Prognose bei Verdoppelung des Ölpreises aussehe, dies sei nicht unwahrscheinlich? Dazu Versammlungsleiter Gaentzsch: "Es bestreitet niemand, das das so kommen kann. Wir schreiben das in den Anhörungsbericht, die Planfeststellungsbehörde entscheidet. Wir können hier nicht ausdiskutieren, ob die Kritik berechtigt ist". Der Einwender unterstützte daraufhin den Antrag auf ein neues Gutachten, in dem auch solche Szenarien betrachtet werden. Ein weiterer Privateinwender beantragte, das RP solle eine neutrale, seriöse und kompetente Stelle mit einer neuen Luftverkehrsprognose beauftragen, in die auch die externen Kosten eingehen.

Viele Fragen, wenig Antworten

Rechtsanwältin Philipp-Gerlach, die den BUND vertritt, sagte zum "öffentlichen Interesse am Ausbau", eine einfache Planrechtfertigung bekomme man praktisch für jedes Vorhaben. Für Enteignungen oder die Zerstörung von Naturschutzgebieten müssten aber "zwingende Gründe des Allgemeinwohls" vorliegen. Die Prognose sei auch unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten. Philipp-Gerlach wollte dann vom Fraport-Gutachter Zahlen zu einem Detail wissen, das ihr widersprüchlich erschien: die Billigflieger am Flughafen Leipzig sind nach dem Gutachten relevant für Frankfurt, die in München dagegen nicht. Nur sehr widerwillig folgte schließlich eine summarische Erklärung, dann endete die Diskussion - wie schon manche vorher auch - mit den Worten der Versammlungsleitung (jetzt Herr Bach): "Sie sehen doch, Sie kriegen keine Antwort von Fraport".

RA Philipp-Gerlach beschwerte sich daraufhin, von Fraport kämen keine inhaltlichen Antworten und sie erwarte, dass das die Anhörungsbehörde von Fraport die Antworten beschaffe. Sie sehe sowieso nicht, wie man in zwei Tagen diese ganze komplexe Problematik erörtern könne. Es sei ein Unterschied, ob eine Problematik an der Oberfläche oder in der Tiefe klar sei. Darauf Versammlungsleiter Bach: "Die Problematik ist in aller Tiefe klar." Die Zuhörer fanden das lustig.

Frau Philipp-Gerlach erwähnte, beim Hearing "Prämissen-Controlling" des Regionalen Dialogforums hätten die Experten gesagt, das Fraport-Gutachten sei methodisch ok, da es dem Auftrag entspreche, man müsste aber Szenarien betrachten und den Zeitraum bis 2020 betrachten. Gutachter Schubert bestritt, dass das RDF-Hearing mit dem Ausbau zusammenhänge. Philipp-Gerlach: das Hearing wurde extra deswegen einberufen! Sie beantragte, das Protokoll des Hearíngs zu den Akten zu nehmen. Zum Prognosezeitraum sagte Schubert, es gebe zwar einzelne Analysen über 2015 hinaus, aber nur für größere Einheiten (Europa, Welt), Wie sich der Verkehrs auf die europäischen Flughäfen verteile, sei über einen längeren Zeitraum nicht vorauszusagen. Auch über mögliche Wachstumsraten nach 2015 wollte sich Schubert nicht äußern. Danach fand auch diese Diskussion mit der Aussage "ob es richtig war oder nicht, wird die Planfeststellungsbehörde entscheiden".

Technische Ungereimtheiten und andere Widersprüche

Herr Faulenbach da Costa (Offenbach) schloss sich für Offenbach den Anträgen auf ein neues Gutachten an. Er merkte an, im Prognosenullfall (kein Ausbau) werde im Fraport-Gutachten von deutlich höheren Startgewichten als im Ausbaufall ausgegangen, um die Differenz der Lärmwerte kleiner aussehen zu lassen. Im Prognosenullfall würden auch mehr A380 (28 pro Tag statt 20 pro Tag im Ausbaufall) und B747 fliegen (98 statt 74). Das liege am Nachtflugverbot beim Ausbau und den geringeren Beilademöglichkeiten für Fracht und dem daraus folgenden Einsatz von Frachtmaschinen, sagte Gutachter Schubert. Dies wurde aber für unwahrscheinlich gehalten, die Beiladefracht sei im Mittel 1,7t und da lohnten sich keine extra Frachtflugzeuge.

Faulenbach da Costa wies weiterhin darauf hin, dass die "Tagesganglinie" (Darstellung der Anzahl Starts und Landungen im Tagesverlauf) im Ausbaufall fast ein Hochplateau sei, das sei sehr ungewöhnlich für einen engpassfreien Zustand (bei 660 000 Flugbewegungen). Außerdem sei laut Lufthansa-Politikbrief für wichtige Flüge die Umsteigezeit in Frankfurt in keinem Fall unter einer Stunde, während das Gutachten von 45 Minuten Umsteigezeit ausgehe. Der Wert für die Umsteigezeit "MCT" sei die "minimum connecting time", Fraport verwende den Wert aber immer als "maximum connecting time (maximale Umsteigezeit)". Er kritisierte darüber hinaus, die Kosten für den Ausbau seien weit höher als angegeben.

Rechtsanwalt Baumann stellte einen Antrag, ein besseres Gutachten zu erstellen und die Erörterung so lange auszusetzen, bis die neue Prognose fertig sei. Wenig Glück hatte Rechtsanwalt Haldenwang (Neu-Isenburg) mit seinem Fragen. Er war vorher nicht dagewesen und hörte jetzt wiederholt, dies alles habe man schon beantwortet. "Dies ist kein faires Verfahren", empörte sich Haldenwang, er dürfe nicht davon abgehalten werden, seine Einwendung zu erörtern, nur weil andere dasselbe vorher schon gesagt hätten. Haldenwang verlangte von Fraport Beweise für die Behauptung, dass ein Mangel an Slots bestehe und Fluggesellschaften Flüge in nicht marktkonforme Zeiten verlegen müssten. Es seien offenbar mehr Slots verfügbar, als der Kapazitätseckwert angebe. Fraport meinte daraufhin, man hätte mehr Nachfragen nach Slots als man befriedigen könne. Herr Amann: "Die Unterlagen müssen wir nicht vorlegen, das sind Fakten".

Haldenwang erinnerte daran, dass der VGH Kassel von einem Einwender erwartet habe, im Jahr 1972 vorauszusehen, wieviele Flugbewegungen heute am Flughafen Frankfurt abgewickelt werden können. Der Gutachter könne aber nicht über 2015 hinaus prognostizieren, was wegen möglicher neuer Entwicklungen sogar logisch sei. Fraport meinte dazu, es gebe keinen rechtlichen Rahmen für die Prognosezeiträume, die Gerichte legten 10-15 Jahre zu Grunde. Bei einem Planfeststellungsbeschluss in 2007 habe man noch 8-9 Jahre, das sei im erlaubten Bereich. Haldenwang bezweifelte, dass die neue Bahn 2009 in Betrieb gehen könne: "Wenn man Kelsterbach enteignen muss, dauert das ein ganzes Jahr".

Kein Bedarf für den Ausbau

Rechtsanwalt Diederichsen (für Mainz) beschäftigte sich mit dem Nicht-Ausbau. Eine Planrechtfertigung sei laut Bundesverwaltungsgericht ausgeschlossen, wenn das Vorhaben "sinnvoll und zweckmäßig unterlassen werden kann." Eine Planrechtfertigung für den Ausbau in Frankfurt bestehe nicht, der Bedarf könnte auch anders befriedigt werden. Es gebe noch 19% an Flugbewegungen, die weniger als 6% der Passagiere ausmachen. Viele Flüge seien schlecht ausgelastet. Im Ausbaufall wären es immer noch weniger Passagiere als in London-Heathrow heute. In Tokio seien die Flugzeuge sogar im Mittel mit 215 Passagieren besetzt, hier bei Ausbau nur mit 134. Selbst wenn die Fraport-Prognose korrekt sei, könne man diesen Bedarf auch ohne Ausbau befriedigen. Fraport widersprach: man müsse eben berücksichtigen, wer wann wohin fliegen will, daraus folge der Bedarf.

Gutachter Hahn kritisierte in diesem Zusammenhang erneut, dass für den Fall des Nichtausbaus die Zahl der Flugbewegungen mit 500 000 von Fraport vorgegeben worden sei. Herr Amann meinte, man könne den Kapazitätseckwert ohne Ausbau auf 86 steigern.

So zog sich die Diskussion noch bis 19 Uhr hin. Angesichts der zahlreichen Anträge auf ein neues Gutachten schien am Ende selbst Verhandlungsleiter Gaentzsch der Meinung zu sein, das Gutachten G8 sei so nicht verwendbar: "Es gibt möglicherweise Nachbesserungsbedarf".



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