Das Bundesverkehrsministerium will offenbar gegen ein absolutes Nachtflugverbot am Frankfurter Flughafen sein Veto einlegen, weil das die Interessen der deutschen Volkswirtschaft beeinträchtigen könnte. In diesem Fall könnte der Bund ein "übergeordnetes Interesse" am nächtlichen Flugbetrieb geltend machen. Dies steht in einem Brief aus der Abteilung "Luft- und Raumfahrt" des Bundesverkehrsministeriums an das hessische Wirtschaftsministerium, aus dem am Donnerstag die Bild-Zeitung als erste zitierte. Der Brief war die Antwort auf eine Anfrage zum öffentlichen Interesse des Bundes im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens.
Das schreiben aus dem Bundesverkehrsministerium
Das Schreiben, datiert vom 10. September 2007, ist inzwischen an die Öffentlichkeit gelangt:
"Zum jetzigen Stand des Planfeststellungsverfahrens kann eine Haltung des Bundes zu einzelnen Inhalten des zu erlassenden Beschlusses noch nicht abschließend feststehen. Für das BMVBS ist aber bereits jetzt klar, dass der Flughafenstandort Frankfurt/Main als größter europäischer Frachtflughafen und drittgrößter Flughafen im Passagierbereich eine elementare Bedeutung für die deutsche Volkswirtschaft und für den Luftverkehrsstandort Deutschland hat.
Für den Fall, dass der Planfestellungsbeschluss ein absolutes Nachtflugverbot in der Zeit zwischen 23 und 5 Uhr vorsehen sollte, weise ich daher vorsorglich darauf hin, dass es nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Bund bei der Prüfung des Beschlusses sein Bundesinteresse an einem nächtlichen Flugbetrieb im Rahmen des § 31 Abs. 2 Nr. 4 in Verbindung mit §6 Abs. 3 Luftverkehrsgesetz erklärt.
Das BMVBs bittet in diesem Zusammenhang, auch die Vorschläge des Vorsitzenden des Regionalen Dialogforums des Flughafens Frankfurt/Main bzgl. des Anti-Lärm-Paktes mit bei der Entscheidung zu berücksichtigen.
Ich darf Sie weiterhin bitten, dem zuständigen Fachreferat die Gliederung, die Einleitung, die Zusammenfassung, die Betriebsregelungen bzw. die luftverkehrsrechtlichen sowie die technischen Regelungen (gemäß der nationalen und internationalen Vorgaben) des Planfeststellungsbeschlusses zur Prüfung zu übermitteln."
Das Dementi
Später am Tag entschärft das Bundesverkehrsministerium die ursprüngliche Aussage:
Der Bund wolle " keine Aufhebung des Nachtflugverbotes am Flughafen Frankfurt". Man würde sich allenfalls dann mit Einzelausnahmeregelungen vom Nachtflugverbot befassen, wenn die Fraport und das Land Hessen gemeinsam entsprechende Ausnahmen anstreben. Man habe auf die entsprechende Anfrage hin lediglich auf die gesetzliche Lage verwiesen. Der Bund habe in seinem Schreiben an das hessische Wirtschaftsministerium darüber hinaus ausdrücklich darum gebeten, die Vorschläge des Vorsitzenden des Regionalen Dialogforums Frankfurt/Main bezüglich des Anti-Lärm-Paketes zu berücksichtigen.
Erste Reaktionen
Das Schreiben löste beträchtlichen Wirbel aus. Ministerpräsident Koch sagte, für ihn stehe das Nachtflugverbot nicht zur Disposition. Das Nachtflugverbot dürfe "in seiner Substanz nicht angetastet werden. Um den Planfeststellungsbeschluss gerichtsfest zu machen, seien aber einzelne begründete Ausnahmen erforderlich. Er sei verwundert darüber, dass sich Verkehrsminister Tiefensee erst nach den Beschluss des Regionalen Dialogforums über ein "Anti-Lärm-Pakt" zu Wort gemeldet habe. [Anm. der Redaktion: Der Brief ist vier Tage vor der RDF-Sitzung datiert und ist am 17. September - also nach der Sitzung - im Ministerium angekommen]. Für die CDU-Fraktion empörte sich der wirtschaftspolitische Sprecher Boddenberg, "Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee die "sehr positiven" Verhandlungen aller Beteiligten im Rahmen des Regionalen Dialogforums" über einen "Anti-Lärm-Pakt". (-> Pressemitteilung der CDU vom 20.9.2007)
Die SPD-Vorsitzende Ypsilanti erkärte, die SPD stehe zum Flughafenausbau mit allen seinen wirtschaftlichen Chancen, aber nur bei Einhaltung der Vorgaben der Mediation. Die "Ignoranz der Beamten im Bundesverkehrsministerium gegenüber der Lärmbelastung" sei ihr vollkommen unverständlich. Nach einem Gespräch mit Minister Tiefensee signalisierte Ypsilanti Entwarnung: der Minister sei nicht gegen das Nachtflugverbot. Nachdem dies klar sei, liege die Verantwortung wieder bei Minister Rhiel. Der Landesregierung warf sie vor, "mit den Ängsten der Bevölkerung zu spielen". Der Geschäftsführer der Landtagsfraktion Mende vermutete sogar, man habe den Brief der Presse absichtlich zugespielt.(-> Pressemitteilungen der SPD)
Der FDP-Vorsitzende Hahn übte heftige Kritik am Brief und auch an der Landesregierung. Eine saubere und gerichtsfeste Planfeststellung mit Nachtflugverbot sei das mit Abstand wichtigste Projekt der hessischen Landespolitik: "Da verbietet es sich, zu tricksen bzw. Schwarzer Peter zu spielen. Jeder, der sich daran beteiligt, gehört sofort weg aus der Verantwortung!" Hahn warf Minister Rhiel Versagen beim Flughafenausbau vor und forderte die vollständige Aufklärung der Vorgänge um den Brief. Der Briefwechsel sei Teil des Verfahrens, man könne nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.( ->Pressemitteilung der FDP vom 21.9.2007 )
Die Grünen im hessischen Landtag sprachen von einem "durchsichtigen Manöver". "Dieses Schmierentheater soll die Landesregierung in dem Licht erscheinen lassen, als sei sie für ein Nachtflugverbot. Dabei haben sich auch Ministerpräsident Koch, Verkehrsminister Rhiel und der Chef des Regionalen Dialogforums, Professor Wörner, von einem absoluten Nachtflugverbot längst verabschiedet", sagte der Fraktionsvorsitzende El-Wazir. ( -> Pressemitteilung der Grünen vom 20.9.2007).
Die Fraktion der Flughafen-AusbauGegner (FAG) im Römer forderte MP Koch auf, den Flughafenausbau sofort zu stoppen. Wenn ein Nachtflugverbot der deutschen Wirtschaft schade, dürfe Koch es nicht genehmigen, und er habe verprochen, dass es ohne Nachtflugverbot keinen Ausbau gebe.
>Lufthansa-Chef Mayrhuber sagte der FAZ, er sei nicht überrascht vom Vorstoß von Minister Tiefensee, die Meinung sei vernünftig. Deutschland könne es sich nicht leisten, auf einer der wichtigsten Frachtdrehkreuze der Welt auf Halbtagsbetrieb umzustellen. Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) legte zur Pressemitteilung vom 18.9. noch einmal nach: "Der Flughafenverband ADV bittet Minister Tiefensee auch weiterhin um Unterstützung zur Verhinderung eines schädlichen Nachtflugverbotes an Deutschlands größtem Flughafen ... Der Standort Deutschland braucht marktgerechte Lösungen bei einem Nachtflugverbot." ( -> Pressemitteilung der ADV vom 20.9.2007).
Der RDF-Vorsitzende Prof. Wörner bezeichnete es als unakzeptabel, wenn sich die Bundespolitik zum Ende des Verfahrens einseitig äußern würde. "Wir haben uns in einem langen Prozess mit allen Beteiligten verständigt. Diese Einigung muss nun auch von Politik und Behörden beachtet und berücksichtigt werden", sagte Wörner. Zu dieser Einigung gehöre auch das Nachtflugverbot. ( -> Pressemitteilung des RDF"
Ausbaugegner vermuten in dem Briefwechsel einen raffinierten Schachzug der hessischen Landesregierung, um bessere Argumente für eine Planfeststellung ohne ein Nachtflugverbot zu bekommen. Die "Initiative Zukunft Rhein-Main" zieht den Schluss: "Wenn der hessische Ministerpräsident zu seiner Zusage eines Nachtflugverbots steht, dann muss er die Ausbauplanungen am Frankfurter Flughafen sofort einstellen!" Der BUND kritisierte, nun drohe "der brutalstmögliche Flughafenausbau". Auch die Vertreter des Bundesverkehrsministeriums hätten sich für das Ergebnis der "Mediation" ausgesprochen.
- ZRM: "Bund hat Weisungsrecht in Sachen Nachtflugverbot"
- BUND: Ausbau des Frankfurter Flughafens ohne Nachtflugverbot?
Der Hattersheimer Bürgermeister Franssen hat inzwischen eine Sondersitzung des RDF zu den offenen Fragen rund um den Tiefensee-Brief gefordert. Insbesondere möchte er wissen, ob Wörner von dem Brief vorher gewusst habe. Franssen forderte ein erneutes Meinungsbild im RDF zum Anti-Lärm-Pakt.
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