Erörterungstermin: Bericht vom 17.11.2005
Das lärmmedizinische Gutachten der Fraport wird demontiert
Von: @cf <2005-11-17>

Am Donnerstag, den 17.11.2005, war das Thema 5.1.1, Bewertung von Fluglärm, alle Unterpunkte.
Prof. Kaltenbach stellte eine Studie vor, nach der es einen direkten Zusammenhang zwischen der aktuellen Fluglärmbelastung und Blutdruckanstieg gibt. Kaltenbach forderte einen nächtlichen Grenzwert von weniger als 50 dB(A). Am Nachmittag beschäftigte sich ZRM-Gutachter Dr. Maschke mit nächtlichen Dauerschallpegeln. Maschke nahm das Fraport-Gutachten erfolgreich auseinander und stellte eine eigene Studie, den Spandauer Gesundheitssurvey vor. In der Diskussion wurde das Fraport-Gutachten stark erschüttert. Fraport fiel am Ende nichts mehr ein: "Wir haben beigetragen was wir konnten. Das war's".

Die Studie von Prof. Kaltenbach: weniger als 50 dB(A) nachts!

Zu Beginn des Erörterungstages stellte Prof. Martin Kaltenbach eine von ihm betreute Promotionsarbeit vor, in dem der Zusammenhang zwischen der konkreten Fluglärmsituation in zwei Städten des Rhein-Main-Gebiets und dem Blutdruck untersucht wird. Prof. Kaltenbach ist ein renommierter Kardiologe, er war viele Jahre lang Leiter der Kardiologie der Universität Frankfurt und ist Mitbegründer und Vorstand der deutschen Herzstiftung.

Kaltenbach erläuterte zur Einleitung die Bedeutung von Blutdruckerhöhungen "im physiologischen Bereich", also dem, was noch als normal gilt und nicht unter "Bluthochdruck" läuft. Während man früher Blutdruckwerte bis zu 140/90 mm(systolisch/diastolisch) als normal betrachtete, wisse man heute, dass ein Blutdruck von 125/75 optimal sei. Bei 135/75 sei das Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten schon verdoppelt. Es sei nicht einfach, zwischen normalen und hohem Blutdruck zu unterscheiden, auch kleine Steigerungen hätten schon Wirkung.

Für die Studie wurden 53 Probanden in zwei Gruppen über jeweils 3 Monate untersucht. Die Probanden bestanden aus Männern und Frauen im Alter von etwa 50 Jahren mit etwa gleichem BMI (Body-Mass-Index), die nicht unter Bluthochdruck litten und keine Schichtarbeiter waren. Die eine Gruppe wohnte in Eddersheim ("Westgruppe"), die andere in Gravenbruch ("Ostgruppe"). Die Westgruppe hat etwa 50 dB(A) Fluglärmbelastung bei West-Betriebsrichtung, die im untersuchten Zeitraum etwa 2/3 der Zeit herrschte, bei Ostbetriebsrichtung ist die Belastung dort geringer (etwa 40 dB(A)). Die Ostgruppe war bei Ost-Betriebsrichtung mit 50 dB(A) belastet und bei West-Betriebsrichtung entsprechend weniger. In beiden Fällen handelte es sich um Lärm durch startende Flugzeuge. Während des dreimonatigen Untersuchungszeitraum wurde jeden Tag am Morgen und am Abend Blutdruck und Herzfrequenz gemessen und die subjektive Belästigung protokolliert - es handelt sich also um eine Längsschnittstudie. Die ermittelten Werte wurden mit der gerade herrschenden Fluglärmbelastung (Zahl der Starts) in Beziehung gesetzt und mit der üblichen Statistik ausgewertet.

Es ergab sich eine Parallele zwischen dem von der Betriebsrichtung abhängigem Lärm und dem subjektiven Lärmempfinden und eine teilweise Parallele zwischen Lärm und Blutdruck bzw. Herzfrequenz. Bei der "Ostgruppe", die etwa ein 1/3 der Zeit Fluglärm hatte und in 2/3 der Zeit nicht, zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen lärmbelasteten und nicht lärmbelasteten Tagen (bei denselben Personen!). Hier stieg der Blutdruck bei Wechsel der Betriebsrichtung auf Ost um bis zu 20/15 mm an. In der "Westgruppe" waren die Unterschiede geringer. Im Mittel waren die Blutdruckwerte in der stärker belasteten Westgruppe um 9,6mm syst./7,8 mm diast. höher als bei der Ostgruppe, statistisch hochsignifikant. Kaltenbach äußerte die Vermutung, bei der Westgruppe sei die Regulationsfähigkeit - d.h. die Fähigkeit, sich nach Ende der Lärmbelastung wieder zu entspannen und zu niedrigeren Blutdruckwerten zurückzukehren - beeinträchtigt. Verminderte Regulationsfähigkeit wird als eine Vorstufe zur Krankheit angesehen.

Kaltenbach schloss aus den Ergebnissen: Eine Belastung mit 50 dB(A) führt zu subjektiver Belästigung und teilweise zu Kreislaufreaktionen in Abhängigkeit von der jeweiligen Exposition. Die Belastung in 2/3 der Zeit führt gegenüber der Belastung in 1/3 der Zeit zu höherem Blutdruck, zwar noch im physiologischen Bereich, aber klinisch bedeutsam. Bei häufigerer Exposition vermindert sich die vielleicht die Anpassung. Andere neuere epidemiologische Studien zeigten eine Häufigkeitszunahme von Hypertonie bei 55 dB(A) tags um das 1,8 fache (G 12.1, Nr. 44) und bei 50 dB(A) nachts um das 1,9 fache (G12.1 Nr. 332). Kaltenbach forderte, zum Ausschluss einer Gesundheitsschädigung müsse daher unter Wahrung eines Sicherheitsabstandes ein Dauerschallpegel von deutlich weniger als 50 dB(A) nachts, außen als Grenzwert angesehen werden. [tatsächlicher Dauerschallpegel, nicht mit den Lärmpausen gemittel!]

Die (vergebliche) Inquisition der Fraport

Nach dem Vortrag von Prof. Kaltenbach nahm zuerst Prof. Spreng Stellung. Er sagte, Starts bedeuteten höhere Maximalpegel, die mit seinem Cortisolmodell gut erfasst würden, im Bereich von 50-55 dB(A) sei ein signifikanter Anstieg plausibel [wobei man beachten muss, dass Spreng hier von Innenpegeln spricht]. Ein Zeitraum von drei Monaten sei für einen Sensitivitätsverlust zu kurz. Hierbei übersah Spreng offenbar, dass es sich nicht um einen Laborversuch handelte - die Leute leben schon lange an ihren Wohnorten, Veränderungen sind die Folge einer chronischen Belastung.

Darauf versuchte Fraport, die vorgetragene Studie auseinander zu nehmen. Herr Lurz fragte zunächst danach, ob die Probanden den Blutdruck selbst gemessen hätten (dies sei möglicherweise unzuverlässig) und fragte danach, wie die Probanden ausgewählt worden seien. Auf die Antwort, es seien freiwillige Probanden gewesen, meinte Lurz so etwas wie "aha, überwiegend Leute aus Bürgerinitiativen". Daraufhin gab es Unruhe im Saal, Rechtsanwalt Möller-Meinecke brachte es auf den Punkt: "Der Angriff von Fraport auf die Studie ist wohl, die Probanden hätten den Blutdruck manipuliert". Es brach ein heftiger Streit zwischen den beiden aus. Selbst das RP hatte den tieferen Sinn der Fraport-Aussage durchschaut. Sitzungsleiter Bach meinte: "Herr Lurz hat die Frage nach Manipulationen gestellt, aber neutral." Die Untersuchung sei doch nicht für das Planfeststellungsverfahren angefertigt worden? Prof. Kaltenbach ließ sich nicht irritieren. Weder die Probanden noch die Untersucher hätten eine klare Hypothese gehabt, das Ergebnis habe sich erst spät im Versuchsverlauf gezeigt. Außerdem sei die Studie im Jahr 2002 angefertigt worden, als das Planfeststellungsverfahren überhaupt noch nicht akut gewesen sei. Es ginge ihm nur um den medizinischen Erkenntnisgewinn.

Noch hatte Fraport das Pulver nicht verschossen. Als nächster trat Fraport-Akustikexperte Dr. Schaffert auf den Plan. Er fragte nach dem Untersuchungszeitraum (Oktober-Dezember 2002 und nochmal April-Juni 2003) und meinte dann, die in der Studie verwendeten 50 dB(A)-Isophonen zur Auswahl der Untersuchungsorte seien nicht gültig, da sie auf Daten vom Jahr 2001 beruhen (diese Daten sind beim RDF veröffentlicht und die einzigen, die öffentlich zugänglich sind). Eddersheim sei jedoch danach durch Verlegung eines Teils des Verkehrs etwas vom Fluglärm entlastet worden, Gravenbruch sei dagegen etwas mehr belastet worden. Ein Mitarbeiter der HLUG ergänzte, die Isophonen beim RDF seien mit der 100:100-Regel berechnet worden und mit dem DES des ROV, sie seien nicht mit den von Fraport jetzt vorgelegten Werten vergleichbar. Letztlich erwies sich Schafferts Angriff als kontraproduktiv. Rechtsanwalt Möller-Meinecke forderte messerscharf: "Wenn Eddersheim weniger belastet war als angenommen, muss man die in der Studie empfohlenen Grenzwerte noch weiter verschärfen." Er beantragte beim RP, die korrekten Isophonen für den Untersuchungszeitraum beizuziehen. Doch daraus wird wohl nichts werden: "Für den betreffenden Zeitraum haben wir kein DES (Daten über die Flüge)", meinte der dafür zuständige Fraport-Mitarbeiter. Die streitige Diskussion wurde noch eine Zeitlang fortgesetzt, doch Fraport fand keinen plausiblen Angriffspunkt. Zum Schluss verlangte man die Studie zur genaueren Durchsicht. Sie ist allerdings noch in Druck und erst später verfügbar.

Fazit der Studie: Niedrigere Grenzwerte, mehr Forschung

Dr. Maschke, ZRM-Gutachter, fasste die Erkenntnis noch einmal zusammen, und machte klar, dass diese nicht von den Isophonen abhänge:

  1. Die Studie ist ein Längsschnittstudie, drei Monate lang wurde bei denselben Probanden jeden Tag gemessen. Bei anderen Studien hat man immer das Problem, die Kausalität zwischen Lärm und Krankheit zu beweisen, hier hat man direkte Ergebnisse: die Studie zeigt, wie die Probanden auf die Änderung der Lärmsituation reagieren. [Anmerkung: man braucht also keine "Kontrollgruppe", gegen die verglichen wird, sondern die gleichen Menschen werden unter verschiedenen Lärmsituationen mit sich selbst verglichen. Eventuell nicht bekannte und daher nicht berücksichtigte Unterschiede zwischen den Versuchspersonen, die auf ein Ergebnis einwirken, haben hier keinen Einfluss. Die Beweiskraft der Längsschnittstudie ist also höher.]
  2. In der zeitlich weniger belasteten Gruppe steigen die Blutdruckwerte an, wenn Lärm herrscht, und fallen wieder ab, wenn der Lärm aufhört.
  3. In der zeitlich stärker belasteten Gruppe gibt es auch in den Erholungspausen kein oder nur geringes Absinken der Werte.
  4. In der höher belasteten Gruppe wird nicht nur verminderte Adaptation, sondern auch ein im Mittel höherer Blutdruck gemessen. Verminderte Anpassungsfähigkeit ist Vorstufe zur Krankheit.
  5. Die Reaktionen für sich lagen alle im physiologischen Bereich. Bei häufigen Störungen durch Lärm im physiologischen bereich kann Krankheit entstehen, es ist dazu keine "Übersteuerung" (Überreaktion im Sinne von Spreng) nötig.

Ein Privateinwender aus Offenbach bemerkte an dieser Stelle, Fraport mache hier eine staatsanwaltliche Befragung. "Fraport darf das, wir wurden deswegen gerügt. Prof. Kaltenbach hat alle Fakten genannt und bereitwillig Antworten gegeben. Die Fraport-Gutachter sollen in Zukunft auch so detailliert antworten".

Rechtsanwalt Möller-Meinecke zog Schlussfolgerungen für das Verfahren: "Die derzeitige Belastung durch Fluglärm ist in Eddersheim für 2/3 der Zeit, in Gravenbruch für 1/3 der Zeit so hoch, dass physiologische Kreislaufparameter erhöht werden. Mehr ist den Betroffenen nicht zuzumuten, sonst wird Bluthochdruck von der Volkskrankheit zur Todesursache. Besonders die Belastung in der Nacht muss gesenkt werden, wir fordern deshalb ein Nachtflugverbot von 22-6 Uhr. Man muss näher untersuchen, wo die Grenzwerte für den zukünftigen Betrieb sein müssen. Es ist aus neueren Studien erkennbar (Berglund-Studie 2001, Spandauer Gesundheitssurvey), dass sich ab 50-55 dB(A) schädliche Wirkungen zeigen, nach der Arbeit von Prof. Kaltenbach gibt es sogar bei noch niedrigeren Werten solche Wirkungen. Eine erweiterte Längsschnittstudie, die das ganze Rhein-Main-Gebiet umfasst (bis hinter Mainz und Hanau, Taunus etc.) ist erforderlich, um zu untersuchen, wo die schädliche Wirkung auf den Blutdruck beginnt. Wir haben Warnsignale, die derzeit vorhandenen Erkenntnisse reichen nicht. Wir brauchen eine gesicherte Erkenntnis, um die Bevölkerung langfristig (Lebenszeitprävalenz) vor Fluglärm zu schützen. Besonders der Bereich zwischen 40 und 50 dB(A) muss untersucht werden. Die Studien müssen von einem neutralen, unabhängigen Auftraggeber durchgeführt werden, nicht im Auftrag von Fraport."

Grundgesetz: Gesundheit ist immer geschützt, nicht im Mittel

Als nächster hielt Rechtsanwalt Schröder eine seiner pointierten Reden. "Wir sehen, der Lärm ist giftiger als angenommen. Fraport verteilt einen Schadstoff Lärm über die gesamte Region", begann er. "Die vier Lärmmediziner der Fraport erinnern mich an die Kontroverse darüber, ob Mitrauchen [Passivrauchen] schädlich ist. Heute wissen wir, woran die Erkenntnisverzögerung über die Schädlichkeit des Mitrauchens lag - an der Zigarettenindustrie. Der Tatbestand hätte 10 Jahre früher bekannt werden können".

"Ich wünsche mir, das Niveau der Inquisition gegenüber der Studie von Herrn Kaltenbach würde auch gegenüber den Gutachtern der Fraport herangezogen. Die Gutachter nennen einfach Studien und sagen einfach das ist bewiesen", fuhr Schröder fort. Auch diese Studien müssten gründlich hinterfragt werden, auch wenn es sich um Gutachten von "Kanonikern" handele. "Fraport versucht hier das Evangelium mit 4 Evangelisten zu inszenieren, aber es ist kein Offenbarung, nicht in Stein gemeißelt. Wir haben gerade über eine 'Todeswirkung' gesprochen. Die Frage, ob jemand direkt am Lärm gestorben ist, ist bei der Menge der schädlichen Einwirkungen, die in unserem Leben vorkommen, schwer zu beantworten. Es gibt aber einen statistischen Zusammenhang. Die Gesundheitsgefahr beginnt vor dem Todesrisiko. Fraport sagt, ist einer gestört, könne er sich davon erholen. Wenn er sich erholen kann, ist die Störung nicht relevant. Wenn einer ein halbes Jahr gestört ist, sich im Rest des Jahres aber wieder davon erholen kann, macht die Störung nichts. Stellen Sie sich vor, Sie haben im Februar die Grippe, 40 Grad Fieber, Sie sind krank. Danach kehren Sie wieder in den gesunden Zustand zurück. Also war die Grippe keine Gesundheitsbeeinträchtigung. So ist es nicht. Das Grundgesetz schützt auch vor einer zeitweiligen Gesundheitseinschränkung, die Dauer hat höchstens Einfluss auf das Strafmaß. Sie müssen jemand nicht krankenhausreif schlagen, um seine Gesundheit zu beschädigen. Es reicht, wenn Sie Zittern, Angststörungen, Schlafstörungen, z.B. durch nächtliche Telefonanrufe, verursachen - das erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung. Fraport sagt, im Verwaltungsrecht dürfen wir mehr und wenn wir einmal eine Planfeststellung haben, dürfen wir alles. Doch nach dem Grundgesetz kommt es nicht auf ein Halbjahresmittel an, das Recht schützt Bürger vor momentanen Gesundheitsbeschränkungen. Es wurden schon Täter verurteilt wegen nächtlichen Telefonterrors. Da wurde nicht gemittelt und das Urteil wurde nicht angefochten, weil es sonnenklar war. Der Bayerische VGH hat explizit im Urteil zu München II geschrieben, eine gesundheitsbeeinträchtigende Belastung muss für sich betrachtet werden und darf nicht mit folgenden Erholungspausen verrechnet werden."

Fraport antwortete auf die Frage, wie lange maximal hintereinander Ostbetriebsrichtung herrsche, der Rekord liege wahrscheinlich bei 10-11 Tagen, normalerweise sei es eher im Bereich bis zu 5 Tagen [Anm.: auch ein halber Tag Pause beendet offiziell schon eine Ostwind-Serie]. Schröder fuhr fort: "In Flörsheim muten Sie den Leuten zu, bis zu 5 mal in der Nacht aufgeweckt zu werden. Würden Sie das durch nächtliche Telefonanrufe erreichen, würden Sie wegen Körperverletzung verurteilt. Die Gesundheit wird an diesen Tagen beeinträchtigt. Nur die 100:100-Regel kann davor schützen. Die Idee, die Gesundheitsbeeinträchtigung zähle nicht, nur weil es Erholungspausen gibt, entspricht nicht unserem Gesundheitsbegriff." Schröder zeigte eine Karte, auf der das Schutzgebiet nach den von Fraport vorgeschlagenen Häufigkeitskriterien aufgezeichnet war. Darüber war eine Kurve gelegt, die nach den Kriterien vom Planfeststellungsbeschluss für Berlin-Schönefeld (Maximalpegel 6x70 dB(A) von 22-6 Uhr außen, 100:100-Regel, und Leq 50 dB(A) Realverteilung) berechnet wurde. Das so berechnete Schutzgebiet ist etwa um den Faktor 2 größer als nach Fraport-Methode (280 qkm gegenüber 140 qkm).

Herr Lurz, Fraport, wiederholte daraufhin Bekanntes. Es handele sich nicht um eine inqusitorische Befragung, man stelle nur Verständnisfragen. Der Vorwurf der Körperverletzung sei nicht zutreffend, es seien schon viele Strafanzeigen gegen Flughafenbetreiber gestellt worden, aber es sei noch nie einer verurteilt worden. Einwender: "Da wird es aber Zeit!". Die Forderung, auch Momentanerkrankungen zu verhindern, sei überflüssig, bei den von Fraport vorgeschlagenen Werten gebe es keine Momentanerkrankungen. Der Kritische Toleranzwert habe mehrere Sicherheitspuffer, wird dieser eingehalten, trete keine Gesundheitsgefährdung auf. Der Präventive Richtwert stelle sicher, dass gar nichts passieren kann. Zur 100:100-Regel zitierte Lurz zum wiederholten Mal bestimmte Gerichtsurteile. Nach dem gültigen Fluglärmgesetz seien zwar die Lärmwerte nicht mehr anwendbar, die Berechnungsparameter (wie die Realverteilung) seien aber noch verwendbar, und danach sei über die 6 verkehrsreichsten Monate zu mitteln.

Ungerechtigkeit durch 100:100-Regel?

Rechtsanwalt Schröder ergriff noch einmal das Wort. "Das Amtsermittlungsgebot heißt auch Inquisitionsmaxime. Inquisition nutzt uns und schadet Fraport. Die Behörde muss aufklären. Wenn Sie Prof. Kaltenbach noch eine Stunde ausgefragt hätten, würde uns das nützen.". Zur Mittelung meinte Schröder ungeduldig, in der Geschichte der Menschheit hätten schon 50 Milliarden Menschen gelebt, davon seien etwa 44 Milliarden schon gestorben. Der Mittelwert würde ergeben, dass wir alle schon fast tot wären, das sei statistisch nicht falsch, aber ansonsten Unsinn. "Es geht darum, wie es den Flörsheimern geht. In 23% aller Tage, manchmal 5 oder auch 10 Tage hintereinander, werden diese nachts in geringer Höhe überflogen und wachen dann 5 mal, 10 mal oder noch öfter auf. Was geschieht mit Menschen, die nur 3 Nächte hintereinander immer 5 mal geweckt werden? Würden die eine körperliche Reaktion zeigen? Ja, das weiß jeder, der es schon einmal erlebt hat. Prof. Griefahn sagt, es sei keine Leistungsbeeinträchtigung festgestellt worden. Die Strafgerichte sehen aber eine Beeinträchtigung, wenn ich Herrn Lurz drei Nächte lang je fünfmal anrufe. Dann ist er nicht mehr fit." Darauf Herr Bach:"Sie auch nicht, wenn Sie selbst anrufen!" Schröder ironisch: "Gut, dann wären also Lurz und ich ziemlich erledigt, und das ist dann eine vollwertige epidemiologische Studie mit 2 Probanden".

Zur Frage der "Ungerechtigkeit" bei der 100:100-Regel stellte Schröder die rhetorische Frage, ob es wirklich ungerecht sei, wenn jemand, dessen Gesundheit nur an 5 Tagen gefährdet sei, den gleichen Schutz bekomme wie jemand, der an 50 Tagen gefährdet sei. Jeder habe Schutz davor, auch nur einmal in seiner Gesundheit beeinträchtigt zu werden. Fraport sagt, man habe erst Schutz bei 10 oder mehr Störungen. "Das ist schräg und quer und passt nicht in unsere Rechtsordnung". Es sei noch nie ein Flughafen verurteilt worden, weil die Betriebsgenehmigung die Belastung legalisiere. "Wenn Sie das so planfeststellen, legitimieren Sie Körperverletzung. Das sollten Sie nicht tun, denn es ist rechtswidrig", meinte Schröder in Richtung des RP zum Schluss.

Dr. Kühner, Akustik-Sachverständiger, ergänzte, die Schutzziele müssten immer mit unter dem Aspekt der Gesundheitsgefahr betrachtet werden. Die 100:100-Regel sei ein praktischer Ansatz, um Phänomene zu kontrollieren, die man sonst nicht gut kontrollieren könne. Beim Feinstaub gebe es auch keinen Mittelwert, sondern die Forderung, den Grenzwert an nicht mehr als x Tagen zu überschreiten. So beschreibe die 100:100-Regelung die ungünstigsten Tage. Das Argument der Gerechtigkeit könne auch umgedreht werden. Die Realverteilung schütze bei Westbetrieb immerhin schon bei 80%, bei Ostbetrieb sei es viel weniger. Kühner wunderte sich über Prof. Spreng: "Sie sind doch sonst immer gegen Mittelwerte. Aber wenn es um die Bewertung geht, haben Sie keine Mühe über das ganze Jahr zu mitteln."

Dr. Maschke gegen Fraport-Gutachten

Danach begann Dr. Maschke, ZRM-Gutachter, seinen Vortrag mit einer Methodenkritik am Fraport-Gutachten. Entgegen der Aufforderung des RP, über alle Themen zu sprechen, wollte er sich an diesem Tag nur zur Wirkung des Dauerschallpegels auf den Schlaf äußern. Ginge man zu sehr in die Breite, meinte er, folge daraus, dass man schnell zu dem Punkt käme "hier steht Meinung gegen Meinung", und die Standpunkte nicht ausreichend hinterfragt würden. "Sie haben ja schon aus meinen vorhergehenden Äußerungen entnommen, dass einige Standpunkte auf wackeligen Beinen stehen." Maschke übte zuerst grundlegende Kritik am Gutachten G12.1.

Maschke kritisierte folgende Punkte:

  • Der neueste Stand der Lärmwirkungsforschung?
    Bei den von den Gutachtern berücksichtigten Studien befindet sich keine Arbeit aus den letzten 10 Jahren. Es seien aber in den letzten 10 Jahren zahlreiche neue Arbeiten hinzugekommen. In einer Arbeit von ihm selbst aus dem Jahr 1996 seien 35 Primärstudien aus den Jahren von 1980 - 1996 aufgeführt worden, die für gut befunden worden seien. Davon hätten die Gutachter nur 4 ausgewählt. Dies sei wissenschaftlich akzeptabel, aber nur, wenn die Auswahl- und Qualitätskriterien benannt würden. Ihm schienen die vier Studien willkürlich herausgegriffen. Für den Sachverständigenrat habe er im Jahr 2003 sein Gutachten aktualisiert und dabei 32 neue Studien seit 1995 gefunden. Von diesen sei keine einzige in G12.1 berücksichtigt worden. "Es fand offensichtlich eine radikale Literaturauswahl statt, ohne darauf hinzuweisen oder Auswahlkriterien zu benennen."
  • Gefährdungspotential nicht berücksichtigt:
    Das Gefährdungspotential, d.h. die Nähe der in betrachteten Studien verwendeten Indikatoren zur Gesundheitswirkung, wird nicht betrachtet. Die Indikatoren sind unterschiedlich.
  • Übertragbarkeit der Ergebnisse nicht berücksichtigt:
    Die betrachteten Studien haben teilweise nur wenige Probanden (wie Jansens mittlerweile bekannte "Concorde-Studie"), manche betrachten repräsentative Bevölkerungsquerschnitte. Die Ergebnisse einer 20 Jahre alten Studie mit 10 jungen Probanden könne man nicht auf die Bevölkerung des Rhein-Main-Gebietes übertragen.
  • Primärstudien und Übersichtarbeiten vermischt:
    Bei der Auswertung der in G12.1 betrachteten Studien werden Primärstudien und Übersichtsarbeiten (solche, die Primärstudien auswerten, auch Metastudien genannt) vermischt. Das sei wissenschaftlich nicht zulässig; manche Primärstudien und Wertungen würden so doppelt in die Gesamtbetrachtung eingehen.

Am Beispiel der Ableitung des Kritischen Toleranzwertes im Gutachten G12.1 zeigte Maschke einen weiteren Kritikpunkt auf. Im Gutachten steht ein Satz, nachdem die höchsten in den ausgewerteten Studien genannten Werte gemittelt und noch aufgerundet wurden. So komme man auf die 40 dB(A) (innen am Ohr des Schläfers). Eine solche Festsetzung sei nicht akzeptabel. "Ein unsystematisches Herausgreifen und Mitteln von Literaturangaben ist keine wissenschaftliche Arbeitsweise".

Maschke fasste dann einige allgemeine Fragen an die Gutachter zusammen, in denen er danach fragt, warum man bei den oben genannten Kritikpunkten entsprechend gehandelt habe. Ein weiteres Mal stellte er die Frage nach den Kriterien der Literaturauswahl. Weiterhin kritisierte Maschke, die Hierarchie der Orientierungswerte (KTW, PRW) sei - entgegen der im Gutachten genannten Vorgehensweise - offensichtlich nicht an der Abstufung des Gefährdungspotentials, der wissenschaftlichen Sicherheit und der Betroffenheit der Bevölkerung vorgenommen worden. Er richtete dann erneut die Frage an die Fraport-Gutachter, was diese unter den Begriffen Gefährdungspotenzial, Erkenntnissicherheit und Betroffenheit der Bevölkerung verstehen und wie sie sie messen würden. Man sollte meinen, diese generellen Fragen seien von jemand, der ein Gutachten vor nicht allzu langer Zeit selbst geschrieben hat, leicht beantwortbar sein - doch weit gefehlt. Wie geantwortet wurde (oder nicht), folgt später.

Der "Spandauer Gesundheitssurvey"

Im zweiten Teil seines Vortrags stellte Dr. Maschke eine neue Studie, den Spandauer Gesundheitssurvey" vor, an der er bei der Teilauswertung "Lärmwirkung" maßgeblich mitgewirkt hat.

Zu Beginn erläuterte er, das Ausmaß der gesundheitlichen Beeinträchtigung einer über Jahre einwirkenden Lärmexposition im Wohnumfeld könne nicht befriedigend in experimentellen Studien untersucht werden. Seit etwa 1998 habe sich deshalb die Einsicht durchgesetzt, dass nur entsprechende epidemiologischen Studien verlässliche Aussagen liefern würden (externe Validität). Bei einer Laborstudie finde man z.B. gewisse Schlafstörungen und erwarte dann dadurch langfristig Gesundheitsstörungen, beweisen könne man das aber nicht. Bei einer epidemiologischen Studie könnte man direkt die Krankheit als Wirkungsendpunkt feststellen und könnte damit direkt das Risiko abschätzen.

Als "Spandauer Gesundheits-Survey" bezeichnet man eine seit 1982 laufende Untersuchungsreihe, die seit 1982 in Berlin vom Robert Koch-Institut in Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt Berlin-Spandau durchgeführt wurde. Dabei wurde der Gesundheitszustand der Probanden periodisch alle zwei Jahre von einem Ärzteteam überprüft. Ab dem 9. Durchgang wurde zum Zweck der Lärmwirkungsforschung die Schallbelastung der Probanden durch den Straßenverkehr ermittelt. Die Teilnehmer der Untersuchung waren beim 9. Durchgang im Mittel 60 Jahre alt (wegen der langen Untersuchungsdauer). Über 85% der Teilnehmer lebten schon mehr als 10 Jahre in ihrer Wohnung, über die Hälfte mehr als 25 Jahre und einige auch noch länger. Sie waren also gut zur Abschätzung einer langzeitigen Schallbelastung geeignet. Für die Ermittlung der Schallbelastung wurde eine Datenbank des Berliner Senats mit Lärmdaten verwendet, die stichprobenweise vor dem Schlafzimmerfenster durch Messungen überprüft wurden. Mit den Ergebnissen wurden die Daten dann korrigiert (wenn jemand zum Hinterhof schläft, ist die Schallbelastung nachts geringer als an der Straße). Ausgewertet wurde die Zahl konkreter ärztlicher Behandlungen in Anhängigkeit von der Schallbelastung tagsüber und nachts.

Bei Lärm und offenem Fenster schlafen: ein hohes Risiko

Die aufgetretenen Fälle von Hypertonie wurden dann ins Verhältnis zur Schallbelastung gesetzt. Die Daten wurden nach Faktoren wie Alter, Geschlecht, zusätzliche Risikofaktoren (etwa Übergewicht, Rauchen, Alkohol, Lärmempfindlichkeit), gesellschaftlicher Stellung und weiteren Faktoren korrigiert, wie in solchen statistischen Untersuchungen üblich. Es ergab sich bei einem Schallpegel von mehr als 55 dB(A) in der Nacht vor dem Schlafzimmerfenster eine Erhöhung des Krankheitsrisikos um 88%, zwischen 50 und 55 dB(A) waren es noch 66%. Die Ergebnisse können eine Dosis-Wirkungsbeziehung liefern, ein kontinuierlicher Anstieg der Wirkung mit der Schallbelastung ist erkennbar. Die erste Signifikanz ergibt sich bei Werten zwischen 50 und 55 dB(A). Diese Werte gelten für die Periodenprävalenz. In einer Periode können natürlich auch noch andere Faktoren zum Risiko beigetragen haben, deshalb betrachtet man auch die "Lebenszeitprävalenz". Hier ergeben sich ganz ähnliche Werte.

Auch in der Stadt schlafen einige Leute stets bei offenem oder gekippten Fenster (15-17%). Beim gekippten Fenster ist die Lärmbelastung im Raum größer. Die Untersuchung ergab, dass bei gekipptem Fenster das Risiko nochmals erheblich erhöht ist: um den Faktor 4,5 bei 50-55 dB(A), um den Faktor 6 bei über 55 dB(A). Wegen des kleineren Stichprobenumfangs gibt es hier höhere Konfidenzintervalle, aber das Ergebnis ist trotzdem noch signifikant.

In der Folge ging Maschke gleich noch auf einige bekannte Kritikpunkte ein, die gern gegen den Gesundheitssurvey vorgebracht werden.

  • Kritikpunkt: der Spandauer Gesundheitssurvey ist eine Querschnittstudie und daher zum Nachweis eines kausalen Zusammenhangs nicht geeignet, da nicht belegt werden kann, dass die Lärmbelastung der Krankheit vorausgeht:
    Ein Anstieg der Krankheiten kann keinen Anstieg der Verkehrsbelastung zur Folge haben, auf den Nachweis des zeitlichen Zusammenhangs kann man daher hier verzichten.
  • Kritikpunkt: die Erhebung der Verkehrsgeräuschbelastung war nicht zuverlässig:
    Die Kontrollmessungen zeigten dort, wo die Fenster zur Straße zeigten, eine gute Übereinstimmung, für Fenster zur ruhigen Hofseite wurden Korrekturfaktoren eingeführt. Für den Tag ist es möglich, dass die Schallbelastung nicht korrekt abgebildet wird, weil man nicht weiß, wo die Leute sich tagsüber aufhalten. Nachts schlafen Menschen des betrachteten Alters aber ganz überwiegend zu Hause in ihrem eigenen Bett.
  • Kritikpunkt: Bei anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Herzinfarkt, Angina pectoris etc.) konnten keine entsprechenden Wirkungszusammenhänge nachgewiesen werden, deshalb sind auch die Ergebnisse zum Bluthochdruck nicht verlässlich:
    Herzinfarkt und Angina pectoris sind vergleichsweise seltene Ereignisse. In einer Querschnittstudie gibt es daher nur wenige Fälle und somit eine große statistische Unschärfe. Bei Bluthochdruck ist das nicht der Fall, es ist eine Volkskrankheit. Um die 25% der Bevölkerung sind betroffen.
  • Kritikpunkt: Verkehrslärm wurde betrachtet, nicht Fluglärm:
    In zwei der 4 im Gutachten G12.1 zugrundegelegten Primärstudien ging es ebenfalls um Straßenverkehrslärm. Fluglärm ist eher lästiger als Straßenverkehrslärm, warum sollte er im Gegensatz zum Straßenverkehrslärm nicht schaden? Die Untersuchungen zum Fluglärm im Spandauer Gesundheitssurvey sind nicht relevant, weil nur wenige und steinalte Lärmdaten zur Verfügung standen.

Folgerung: weniger als 50 dB(A) nachts!

Maschke zog als Fazit: Die untere Grenze der Schallpegelklasse 50-55 dB(A) außen markiert somit eine Schwelle, oberhalb derer ein lärmbedingt erhöhtes Erkrankungsrisiko (Hypertonie) belegt ist. Die Schwelle für die Definition von Hypertonie ist noch auf dem Stand von 1982, bei Anlegen der neueren Kriterien wäre die Zahl der Krankheitsfälle noch höher. Die Gutachter hätten den Spandauer Gesundheitssurvey wegen angeblicher Mängel nicht berücksichtigt. Dabei sei diese Studie hinsichtlich der Erkenntnissicherheit und der Übertragbarkeit den experimentellen Arbeiten der Fraport-Gutachter weit überlegen.

Auf das Vorkommen von Bluthochdruck in der Gesamtbevölkerung hochgerechnet, hätten etwa 17% aller Fälle vermieden werden können, wenn der nächtliche Dauerschallpegel 50 dB(A) nicht übersteigt. Aus lärmmedizinischer Sicht müsste wegen des häufigen Vorkommens der Hypertonie eine Sicherheitsmarge vorgesehen werden. Dabei sei auch die erhöhte Störwirkung von Fluglärm gegenüber dem Straßenlärm einzubeziehen.

Warum kann Lärm krank machen?

Auch mit den Ursachen der lärmbedingten Erkrankungen setzte sich Maschke auseinander. Nach dem Jansen-Kriterium spielt nur das bewusste Erwachen eine Rolle, das ab 60 dB(A) am Ohr des Schläfers beginnen soll. Wäre diese These wahr, müsste man "nur" Spitzenpegel über 60 dB(A) vermeiden. Im Straßenverkehr könne man davon ausgehen, dass die Spitzenpegel etwa 10 dB(A), selten 15 dB(A) höher seien als die Dauerschallpegel. Im Spandauer Gesundheitssurvey sollten also Maximalpegel von maximal 65 dB(A) außen auftreten, die im Jansen-Kriterium postulierten 75 dB(A) außen seien also gar nicht vorgekommen. Wäre das Jansen-Kriterium richtig, hätte es keine Erhöhung des Krankheitsrisikos geben dürfen.

Die 60 dB(A) seien nur ein Indikator, aber nicht die Ursache, erläuterte Maschke. Als Beispiel nannte er, in den 70iger Jahren habe es in ländlichen Gebieten sowohl mehr Störche als auch eine höhere Geburtenrate als in den Städten gegeben. Die Zahl der Störche habe damals sehr wohl als Indikator für die Geburtenrate verwendet werden können, aber ein ursächlicher Zusammenhang habe natürlich nicht bestanden. Der Import weiterer Störche und deren Ansiedlung in Städten hätte dort die Geburtenrate nicht erhöht. Das Aufwachen sei ein Indikator, nicht die Ursache für Erkrankungen durch Lärm.

Eine Ursache sei eher in langfristig gestörten Schlafrhythmen zu sehen. Bei Störungen durch Lärm werde zwar der Tiefschlaf nachgeholt, aber die Anteile von Leichtschlaf und Traumschlaf veränderten sich. Straßenlärm und Fluglärm wirkten dabei anders (beim Fluglärm wacht man auf, beim Straßenlärm eher nicht), schädlich sei auf die Dauer beides. Nur weil man nicht aufwache, sei der Lärm keineswegs harmlos, wie der Spandauer Gesundheitssurvey gezeigt habe. Eine Lärmstörung aktiviere das zentrale Nervensystem, das vegetative und das hormonelle System und erzeuge eine Reaktion, die faktisch einer Stresssituation entspreche. Bei häufiger Einwirkung der Störung folge eine vegetative Konditionierung, als Folge würden Fehladaptationen der wichtigsten Regulierungsmechanismen auftreten, dies könnte zur Krankheit führen. Maschke stellte auch hier wieder die Frage an die Fraport-Gutachter, wie sie dazu kämen, das erinnerbare Erwachen als Ursache für Gesundheitsstörungen anzusehen, und verlangte Beweise für diese These. Er meine, für "6x60" gebe es keine Grundlagen. "Man kann nicht aus Gutachten, die einem nicht gefallen, irgendetwas heraussuchen und sagen, das Gutachten passt deswegen nicht, während man bei anderen Arbeiten gar nicht erst hinschaut, damit man erst gar keine Unzulänglichkeiten finden kann", schloss Maschke seinen Vortrag.

Was fällt Fraport dazu ein?

Als erster antwortete Herr Lurz für Fraport. Er finde die Vorwürfe harsch und sie seien unberechtigt, das Gutachten G12.1 sei gut und wissenschaftlich begründet. Erneut zitierte er ein Urteil des OVG Münster, in dem die Synopse als "Letzter Stand der Wissenschaft" gelobt werde - eine bessere Beurteilung könne man sich gar nicht wünschen. Zwischenruf eines Einwenders: "Sie werden auch keine bessere Beurteilung bekommen". Die Gutachter brauchten sich nicht in jedem Fall auf die Literatur beziehen, sie könnten auch aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung eigene Bewertungen festsetzen. Die Gerichte würden die Grenze zur Gesundheitsgefährdung nicht bei 55 oder gar 50 dB(A) sehen, sondern deutlich höher.

Prof. Spreng sagte zur Verteidigung, die Maximalpegel seien wichtig u.s.w. [kennen wir schon]. Validieren könne man besser, wenn man viele Studien heranziehe. Man habe nicht gemittelt, sondern eine breite Basis gesucht. Einen besseren Indikator für Gesundheitsgefährdung als das Aufwachen gebe es zur Zeit nicht. Maschke vergesse die Probleme des Wiedereinschlafens, wenn man nicht einschlafen könne, würde die Schlafzeit verkürzt. Prof. Jansen sagte, in G12.1 seien Grenzwerte für Dauerschallpegel von 32 und 35 dB(A) vorgesehen, allerdings als Schwellwert [der keine Bedeutung hat] und als Präventiver Richtwert [Jansen vergaß hier zu erwähnen, dass die Schwellwerte als bedeutungslos betrachtet werden und beim PRW das Dauerschallpegelkriterium erst greifen soll, wenn das Maximalpegelkriterium, gemittelt über die Durchschnittsnacht, überschritten ist.] Man stütze sich auch auf andere Kriterien wie das Aufwachen, dieses sei aber besonders wichtig. Alle Einwender würden das Aufwecken als Störung nennen. Der Spandauer Gesundheitssurvey stütze sich auf Befragungen über ärztliche Behandlungen, Messwerte hätten einen höheren Stellenwert. Für die Schallbelastung sei man dort von geschätzten Werten ausgegangen [dies alles hatte Maschke eigentlich schon widerlegt]. Ein relatives Risiko kleiner als 2 könne nicht als richtiges Risiko betrachtet werden. Maschke hätte nicht alle Hintergründe erfragt.

Heute keine "eminenzbasierten Gutachten" mehr

Dr. Maschke nahm zu all diesen Äußerungen Stellung. Zu den Aussagen von Herrn Lurz meinte er, es gäbe heute keine "eminenzbasierten Gutachten" mehr. Er habe großen Respekt vor der Leistung der Professoren auf dem Podium, trotzdem müsste alles, was sie schreiben, einem Qualitätsstandard genügen. Für wissenschaftliches Arbeiten gebe es allgemeine verbindliche Regeln, die man bei der DFG erfragen könne. "Die Gutachter sollen mich doch Stück für Stück widerlegen", meinte Maschke. Die Gutachten gingen auch an die Einwender, die Schlüsse müssten nachvollziehbar dargestellt werden. Die einfache Frage der Literaturauswahl für das Gutachten sei nach 14 Tagen immer noch nicht geklärt.

Die Aussagen von Prof. Jansen hatten Maschke offenbar gefuchst. Er fragte ihn, wieso er ihm vorwerfe, nicht alle möglichen Störvariablen berücksichtigt zu haben, wo Jansen in seinen Gutachten nicht einmal die allerwichtigsten Störgrößen, wie Alter und Geschlecht berücksichtigt habe? Man habe beim Spandauer Gesundheitssurvey auf konstruktive Kritik immer reagiert und auch einige Daten auf Vorschläge von außen nachgeliefert. Zum Vorwurf, die Lärmbelastung sei geschätzt, sagte Maschke, in Jansens Gutachten seien auch Schätzungen enthalten, wie die Fluglärmberechnungen nach der AZB. In großen Untersuchungen könne man nicht an jeder Adresse nachmessen, man müsse immer auf Schätzungen zurückgreifen. Seine "Schätzungen" des Lärms seien aber ebenso nach "amtlich festgelegten Kriterien" berechnet wie der Fluglärm nach der AZB berechnet werde. Auch bezüglich des Vorwurfs der Befragung der Probanden wies Maschke auf die im Gutachten zentralen Untersuchungen von Prof. Griefahn hin, die 36 Probanden mit Verkehrslärm beschallt und diese dann nach der Wirkung gefragt werde. "Wenn Sie es machen, ist es in Ordnung, bei anderen dient es als Ausschlusskriterium", schimpfte Maschke. Er erklärte aber trotzdem geduldig, er habe gar nicht gefragt, es sei eine Doppelblindstudie gewesen, die Ärzte hätten ärztliche Anamnesegespräche durchgeführt und man habe dann die Behandlungshäufigkeit gezählt. Ein ärztlich durchgechecktes Kollektiv sei ein großer Vorteil. "Sie gucken isoliert in unsere Studien und sagen, da ist noch was, was man besser machen könnte, und erklären die Studie deshalb als unbrauchbar. Die gleichen Maßstäbe sollten Sie an Ihre Studien anlegen. Sie holen alte Klamotten aus dem Keller und sehen sie nicht mal genauer an, neue Studien, die Ihnen nicht gefallen, nehmen sie auseinander".

Prof. Jansen streikt, Fraport kriegt Feuer

Dies wiederum ärgerte Prof. Jansen. "Ich bin hier wegen einer Anhörung, die Untersuchung wissenschaftlicher Spitzfindigkeiten will ich nicht mehr mitmachen!" Das ging sogar Sitzungsleiter Hoepfner zu weit, er meinte, bis zu einer gewissen Grenze sei eine Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen schon Thema der Anhörung. Nun wurde es lustig. Maschke forderte die Beantwortung der Frage, wie man die sechs zentralen Untersuchungen, auf die sich G12.1 stützt, ausgewählt habe. Das RP wollte Bedenkzeit einräumen, Anwälte sagten dagegen, wer ein Gutachten geschrieben habe, könne eine solch einfache Frage aus dem Stegreif beantworten. "Die Professoren sind hier als Schwerathleten aufgetreten. Sie können am besten springen, also springen Sie jetzt," forderte Rechtsanwalt Schröder. Ein Privateinwender wandte ein, er habe Prof. Jansen bereits beim Verfahren zur Startbahn West die Kümmerlichkeit seiner Untersuchung aufgezeigt, Jansen habe jetzt 30 Jahre Zeit gehabt, sich eine Antwort zu überlegen. Ein anderer schlug vor, Jansen könne ja jetzt die Fragen beantworten, die vor 14 Tagen gestellt worden seien, da habe es genug Bedenkzeit gegeben. Rechtsanwalt Fislake kramte einen Zeitungsartikel hervor, in dem Herr Amann ausgesagt hatte: "Die Einwender sollen fragen, bis es quietscht". Das wolle man jetzt auch tun. "Wenn man gefragt wird, was heute für ein Wochentag ist, braucht man keine halbe Stunde Bedenkzeit", meinte ein anderer Anwalt. Und die Offenbacher drohten: Fragen beantworten, sonst gehen wir heim.

Herr Amann meinte daraufhin, man habe alle Fragen bereits beantwortet. Es gebe eben Meinungsunterschiede. "Maschke hält weder die Gutachter noch die Gutachten für geeignet. Vielleicht scheitert ja der ganze Ausbau am schlechten Gutachten, das mag die Planfeststellungsbehörde entscheiden. Wir nähern uns dem Punkt, wo wir nicht mehr beitragen können, weil wir nicht mehr Antworten haben".

Rechtsanwalt Schmitz wurde böse: "Wir werden ihnen unsere Fragen nicht geben. Wir sind am Punkt, wo Fraport nichts mehr beitragen kann. Herr Lurz hat Fragen von Ticona bekommen, die er nach der Pause beantworten sollte, nach der Pause wollte er nicht mehr antworten. Vielleicht geben wir die Fragen einfach dem Regierungspräsidium, vielleicht bekommen die ja Antworten. Herr Gaentzsch meinte, der Sinn des Anhörungstermins sei schon erreicht, wenn der Dissens offengelegt sei. Er sei hier nicht in der Lage, konkrete fachliche Fragen zu stellen, er müsste sich erst einarbeiten. Man könne vorgehen wie von RA Schmitz vorgeschlagen. Maschke beschwerte sich, Fraport behaupte, alle seine Fragen seien beantwortet, er habe es wohl nicht mitbekommen. Vielleicht könnte das RP für ihn die Antworten zusammenfassen. Herr Eck vom RP wollte dann allerdings die Fragen doch lieber an Fraport stellen.

Die Antworten von Professor Jansen

Nach der Pause begann Prof. Jansen tatsächlich mit der mit Spannung erwarteten Beantwortung der Fragen. Im Rekordtempo verlas er eine vorbereitete Liste, der man nur mühsam folgen, geschweige denn mitschreiben konnte. Man hatte irgendwie alles schon einmal gehört, überzeugender wurde es dadurch aber auch nicht. Nur die Aussage zur Gutachtenauswahl wurde das erste Mal so präzise gemacht. Das sagte Jansen sinngemäß auf einige Fragen:

  • Frage: Auswahl der Gutachten:
    Antwort: Bei der Schallbelastung gab es die Möglichkeiten Messung, Schätzung [Anmerkung: hier gehört wohl auch Berechnung nach AZB hin], persönliche Angaben. Bei Erfassung der Krankheitssymptome ebenso. Wir haben die Literatur verglichen und eine Einteilung vorgenommen. Wir haben die Gutachten genommen, in denen Schallbelastung und Gesundheitswirkung gemessen wurde. Die DLR-Studie erfüllt das. Bei der NAROMI-Studie wurde bei der Erkrankung gemessen, die Belastung wurde geschätzt, beim Spandauer Gesundheitssurvey und bei der LARES-Studie wurden beide Parameter nur geschätzt/berichtet, deshalb wurden diese Studien nicht genommen.
  • Frage: Gibt es Arbeiten zur Herleitung von 6x60 dB(A)?
    Antwort: Neín. Aber wir haben das aus den Beobachtungen anderer Studien hergeleitet. Aus wenigen (schon vorher erwähnten) experimentellen Arbeiten älteren Datums wurde zitiert, um zu "belegen" dass man bei 4 Störungen nicht aufwacht und der Bereich vegetativer Reaktion bei 60 plus/minus 7 dB(A) liegt.
  • Frage: Wieso 6x60 dB(A):
    Antwort: Genannt wurde hier erneut die "Concorde"-Studie mit dem Überschallknall. Schon nach 2 Nächten wären die beiden Versuchspersonen nicht mehr vom Lärm aufgewacht, erst bei 8 und 16 Störungen sei es zum Aufwachen gekommen. Im Buch von Prof. Griefahn "Schlafverhalten und Geräusche" von 1985 sei das erinnerbare Aufwachen in Abhängigkeit der Zahl der Schallreize untersucht worden, dort hätte es bei 6 Schallereignissen eine Aufwachreaktion gegeben. Griefahn habe 10 Arbeiten analysiert und führe 30 Literaturstellen auf. Die Ergebnisse legten nahe, dass seltene Ereignisse nach kurzer Eingewöhnungszeit nicht mehr zum Aufwachen führten, bei Annahme von 0,5% der Zeit für nächtliche Störung folge, dass 9,6 Ereignisse erlaubt seien, man habe dann zur Sicherheit 6 angenommen. Danach habe man sich gefragt, ob das Kriterium heute noch gelte und habe mit Sprengs Cortisol-Modell verglichen, woraus keine Ablehnungsgründe folgten. Die Synopse liege unter den Werten aus anderen Studien, die Werte sollten aber trotzdem beibehalten werden. Die DLR Studie finde 65 dB(A) als Aufwachgrenze, 33 dB(A) als Schwellenwert. Der präventive Richtwert schütze auch besonders empfindliche Personen.
  • Frage: Gefährdungspotential etc. :
    Zur Antwort wurden einige Parameter, wie EEG-Veränderungen, Schlafdauer etc. genannt, aber keine genauen Angaben gemacht. Dem Rest zu diesem Thema konnten wir nicht mehr folgen, besonders spannende Erkenntnisse waren aber nicht dabei.

Fraport fällt nichts mehr ein

Herr Amann meinte nun, alle Fragen wären jetzt beantwortet. Das war's." Fraport wolle die Diskussion nicht wieder aufrollen. Maschke wiederholte seine Kritikpunkte an der Verwendung des Bereichs 60 plus/minus 7 dB(A) ("was sie verwenden, ist der Bereich zwischen minimaler und maximaler Reaktion, aber nicht die Streuung zwischen Personen") und an der Ableitung aus dem erwähnten Griefahn-Buch von 1985: die dort erwähnte Untersuchung sei die gleiche wie die von 1976, und die Ergebnisse seien ebenso falsch wie die von 1976. Er habe vor 5 Jahren publiziert, dass die Ergebnisse von 1976 falsch seien. Seither werde nicht mehr die Veröffentlichung von 1976 zitiert, sondern die von 1985, die auf der älteren Arbeit beruht und die gleichen Daten verwendet. Dies sei eine Verschleierungstaktik. Weitere Fragen schlossen sich an. Sitzungsleiter Hoepfner versuchte vergeblich, den Beitrag abzuwürgen. Herr Amann meinte daraufhin: "Auf die nachgeschobenen Fragen haben wir keine Möglichkeit mehr zu antworten. Die Formulierung ist nicht dazu angetan, die wissenschaftliche Diskussion zu fördern. Wir haben beigetragen was wir konnten und müssen den Rest dem Schicksal überlassen."

Die Diskussion wurde dann noch einige Zeit fortgesetzt, die Einwender hielten die Fragen immer noch nicht für vollständig beantwortet. Auch andere Themen wurden kurz angeschnitten. So wurde die Frage gestellt, wie die Empfindlichkeit von Kranken zu beurteilen sei. Jansen sagte dazu, mittelmäßig Kranke seien um 11 dB(A), Schwerkranke um 21 dB(A) und Schwerstkranke um 32 dB(A) empfindlicher. Hospize seien unter Krankenhäusern zugeordnet, soweit sie im Suchraum für schutzbedürftige Einrichtungen liegen. Auf Nachfrage, was er unter "Messungen" beim Gesundheitszustand verstehe, präzisierte Jansen: Messwerte aus dem Labor. Seine Prioritätsauswahl würde er auch für Dauerschallpegel beibehalten, also auch hier den Spandauer Gesundheitssurvey nicht verwenden. [Anmerkung: Alles, was keine Laborstudie ist, scheidet offenbar für Jansen zum Erkenntnisgewinn aus - er zeigt eine deutliche Resistenz gegen neue epidemiologische Studien].

Maschke sagte auf die Frage des RP, wie man bei Studien einen Wechsel der Schlafstadien feststellt, bei epidemiologischen Untersuchungen sei dies bisher nicht untersucht worden, erst heute seien die Geräte klein genug, um sie mit nach Hause zu nehmen. Die bisherigen Erkenntnisse zu Schlafprofilen beruhten auf Laboruntersuchungen. Man habe aber irgendwann festgestellt, dass man so nicht weiter komme. Welche Änderung der Schlafstadien bewirkt schließlich welche Krankheit? Deshalb ginge der Trend zu epidemiologischen Studien. Er würde gern eine große Längsschnittstudie machen, er habe aber bisher niemand gefunden, der das bezahlt. Aus einer solchen Studie könne man direkt die Zahl der aufgetretenen Erkrankungen ablesen und brauche keine weiteren Annahmen in der Wirkungskette zu machen. Dr. Kühner nannte die Empfehlungen des Holländischen Gesundheitsrats und auf kommende EU-Empfehlungen. In Neu-Isenburg gebe es 113% Aufweckwahrscheinlichkeit, vermutlich wachte die Hälfte gar nicht auf, andere dagegen zwei mal. In den 10% lautesten Nächten würden noch einmal doppelt so viele Leute geweckt.

Freilaufende Arbeiter bei Ticona übersehen

In der letzten Session des Tages sprach zunächst Rechtsanwalt Fislake, der am Dienstag nicht mehr drangekommen war. Er ging deshalb nochmals auf Ereignisse vom Dienstag ein. "Der Dienstag war besonders erfolgreich für Fraport", begann er. Herr Schaffert (Fraport) sei vom Podium gekommen und habe Rechtsanwalt Sellner freudig mit den Worten begrüßt: "Endlich mal ein vernünftiger Anwalt hier". "Sie Glückspilz", meinte Fislake, "Sie haben schon einen vernünftigen Anwalt getroffen, ich aber noch keinen vernünftigen Akustiker auf dem Podium". Dabei habe Sellner doch gesagt, wenn man nur lange genug über alles mittele, wäre die Region eine Oase der Ruhe. Nach diesem unterhaltsamen Exkurs befand Fislake, die aufgeworfenen Fragen zu den Gutachten seien nicht beantwortet. So habe man die Probleme für die Arbeiter der Ticona durch den Lärm nicht beachtet. "Dass Sie die freilaufenden Arbeiter bei Ticona übersehen haben, verwundert nicht, Fraport übersieht die Ticona ja immer gern. Wenn man aber die Arbeiter x-mal am Tag mit Schallpegeln über 90 dB(A) überfliegt, dann sieht jeder einfach strukturierte Mitteleuropäer, dass das nicht gesund ist. Fraport aber sieht hier keinen Handlungsbedarf. Wenn die PFV-Behörde das ignoriert, ist nichts mehr in diesem Staat wie es bisher war. Dann werden Sie eine Dimension des Rechtsschutzes erleben, wie er bisher nicht bekannt war." Die Behörde müsse auch das heute vorgetragene Gutachten von Prof. Kaltenbach berücksichtigen.

Ein Gewerbegebiet sei zwar bezüglich des Lärms weniger schutzbedürftig als ein reines Wohngebiet, trotzdem dürfe auch dort niemand Gesundheitsgefahren ausgesetzt werden, sagte Fislake weiter. Die Schutzmaßnahmen müssten auch ortsbezogen betrachtet werden. Im Gewerbegebiet Taubengrund in Kelsterbach könnte mit Sicherheit nach dem Ausbau niemand mehr wohnen. Fraport habe keine Aussage gemacht, dass man die Betrieb und Menschen, die dort wohnen, absiedeln wolle.

Rechtsanwalt Mehler trug die von Fraport berechnete Zahl der vom Fluglärm Betroffenen in Trebur, Nauheim und Büttelborn vor. Er verglich diese Zahlen mit denen im Landesentwicklungsplan. Dort seien 250 000 Menschen betroffen statt 50 000 in den Fraport Unterlagen. Fraport sagte, das liege an der 100:100-Regelung. Nach den jetzigen Ideen der Fraport hätten weniger Menschen Anspruch auf Schutz als nach den Bescheiden der Landesregierung von 2001, kritisierte Mehler. Fraport sagte dazu, die konkrete Ausgestaltung der Schutzmaßnahmen bei Überschreitung zu KTW und PRW sei nicht Sache der Lärmmediziner. Die Dimensionierung des Schallschutzes werde durch beide Werte bestimmt. Das Maßnahmenkonzept sei Anlage zu A2.

Eine Vertreterin des Kreises Groß-Gerau mahnte an, dass die Unterschiede zwischen Männern und Frauen in den Gutachten zu wenig untersucht würden. Das Prinzip des Gender Mainstreaming sei inzwischen verpflichtend vorgeschrieben, die PFV-Behörde müsste das auch berücksichtigen. So seien z.B. die Unterschiede im geschlechtsspezifischen Schlafverhalten zu untersuchen. Auf die Frage, ob die spezifischen Auswirkungen des Fluglärms auf Frauen schon einmal untersucht worden seien, meinte Prof. Jansen, mehr als im Gutachten stehe, könne er dazu nicht sagen. Beim Umweltbundesamt laufe eine Untersuchung dazu. In seinen Versuchen hätten sich nur minimale Unterschiede zwischen Männern und Frauen ergeben. Die Einwenderin stellte einen Antrag, präzisere geschlechtsspezifische Untersuchungen zu finden oder neu durchzuführen. Dr. Maschke sagte dazu, bei Frauen gebe es viel mehr Schlafstörungen als bei Männern. Bestimmte Krankheiten hätten einen starken Geschlechtsbezug, dazu sei die Lebenssituation von Frauen anders als die von Männern. So wären Hausfrauen in ihrer Wohnung 24 Stunden dem Lärm ausgesetzt, Berufstätige hätten vielleicht 10 Stunden am Tag keinen Fluglärm. Man müsse dies alles differenziert betrachten.

Zum Schluss sprach Rechtsanwalt Schröder. Wenn Prof. Jansen den Spandauer Gesundheitssurvey kritisiere, sollte er bedenken, dass unter den Blinden der Einäugige König sei. "Dr. Maschke ist der Einäugige, wir behaupten nicht, dass er alles sieht". Danach kritisierte Schröder die mangelnde Anstoßfunktion der PFV-Unterlagen. "Fehlgeleitet von den lärmmedizinischen Gutachtern" hätten die Lärmphysiker Isophonen und Maximalwerte nach der Sigma-Regelung berechnet und in den Unterlagen dargestellt. Die Isophone für 6x75 dB(A) ende kurz vor Flörsheim, auch in anderen Städten in dieser Gegend sei nichts los. Wenn ein Bürger nur 2 Stunden Zeit habe, sich mit den Planfeststellungsunterlagen zu beschäftigen, würde er das Lärmgutachten aufschlagen und dort den Übersichtsskizzen entnehmen, dass er vom Ausbau gar nicht betroffen sei. "Fraport nimmt diese Isophonen auch als Erkenntnismittel, um den Lärm zu beschreiben. Ein Flörsheimer meint hier, es drohe ihm gar nichts". Einen Dauerschallpegel für die Nachtkonturen habe Fraport freiwillig nicht berechnet, das Schutzkonzept solle nur auf dem Maximalpegel basieren. Auf Anfrage des RP habe man diese Berechnung dann doch durchgeführt, aber sie befinde sich nicht im Hauptgutachten, sondern im "informatorischen Anhang zu Gutachten G10.1". Dort würde sie der Einwender aber nicht vermuten und sie vermutlich übersehen. Aufgrund der Isophonen in diesem Anhang würde der Flörsheimer Einwender Betroffenheit zumindest vermuten und dann eine Einwendung machen. Eine für die Anstoßfunktion wesentliche Unterlage würde versteckt. Der Begriff "informatorischer Anhang" suggeriere dem Bürger, dies sei nicht wichtig. "Es wird sich vielleicht jemand finden, der einen Torpedo daraus macht", schloss Schröder. Das RP äußerte sich ausweichend. Die Karte sei wohl im Anhang, weil sie nicht von Fraport selbst kommen, sondern nur auf Anforderung der Behörde nachgereicht worden sei. Die Konturen, die hier dargestellt seien, kämen aus dem Mediationsverfahren. Fraport lehnte die Verwendung der 100:100-Regel zum wiederholten Mal ab.

Sprüche des Tages:

  • "Die Einwender sollen fragen, bis es quietscht".
    Herr Amann, Fraport, in der FNP vom 12.11.2005
  • "Das ist schräg und quer und passt nicht in unsere Rechtsordnung".
    Rechtsanwalt Schröder zur Fraport-Idee, eine Gesundheitsbeeinträchtigung, von der man sich wieder erhole, sei irrelevant
  • "Fraport versucht hier das Evangelium mit 4 Evangelisten zu inszenieren, aber es ist kein Offenbarung
    Rechtsanwalt Schröder kritisiert die "Unfehlbarkeit" der Fraport-Gutacher
  • "Wir haben heute keine 'eminenzbasierten Gutachten' mehr."
    Dr. Maschke, Lärmmediziner und ZRM-Gutachter, zu seiner Forderung, auch die vier Fraport-Gutachter ("Eminenzen" müssten ihre Thesen wissenschaftlich sauber beweisen
  • "Wir haben beigetragen was wir konnten und müssen den Rest dem Schicksal überlassen."
    Herr Amann, Fraport, zur Forderung, die Fragen besser zu beantworten
  • "Es wird sich vielleicht jemand finden, der einen Torpedo daraus macht".
    Rechtsanwalt Schröder zur mangelnden "Anstoßfunktion" der Lärmkonturen in Fraport-Lärmgutachten


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PFV Landebahn Nordwest Erörterungstermin Erkrankungen durch Lärm Jansen-Kriterium Schwellwert(e) (Grenzwerte) Regierungspräsidium Darmstadt

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