Kelsterbach verkauft Wald an Fraport und verzichtet auf Klagen
Ausbaugegner wollen weiter kämpfen
Von: @cf <2009-01-23>
Die Stadt Kelsterbach verkauft ihren Wald für 32 Millionen an Fraport und zieht ihre Klage gegen den Flughafenausbau zurück. Ein entsprechendes Abkommen wurde heute vorgestellt.

Im Konflikt um den Flughafenausbau haben sich die Stadt Kelsterbach und Fraport geeinigt. Die Stadt verkauft den Kelsterbacher Wald und weitere für den Ausbau benötigte Flächen an Fraport und zieht ihre Klage gegen den Flughafenausbau zurück. Dafür zahlt Fraport 32 Millionen Euro.

In einer Pressekonferenz stellten Bürgermeister Ockel und der bei Fraport für den Ausbau zuständige stellvertretende Vorstandsvorsitzende Schulte einen entsprechenden Kooperationsvertrag vor. Der Magistrat der Stadt hat die Vereinbarung bereits gebilligt, das Parlament muss noch zustimmen.

Zu der verkauften Fläche gehört nicht nur der Wald, der für den Bau der neuen Landebahn benötigt wird, sondern auch die Waldfläche zwischen der Landebahn und der Autobahn A3, 17 Hektar südlich der Autobahn und Gewerbegebiete im Taubengrund, die unmittelbar an die Landebahn angrenzen. Bei einer Enteignung hätte der Wald nach einem Gutachten nur 18 Millionen Euro eingebracht.

Mit dem Verkaufserlös sollen unter anderem passive Schallschutzmaßnahmen für das Wohngebiet "Am Hasenpfad" und eine Lärmschutzwand finanziert werden.Die Vereinbarung enthält auch andere Punkte, zum Beispiel die gemeinsame Entwicklung von Gewerbegebieten (z.B. das ehemalige Ticona-Gelände) und eine verstärkte Kooperation im Bereich Kindergärten und Schule. Außerdem wird Fraport ein neues Wildgatter anlegen.

Bürgermeister Ockel warb um Verständnis für den Deal mit Fraport. Nach der Ablehnung der Eilanträge durch den VGH Kassel und der Abholzung des Waldes habe die Stadt keine Einflussmöglichkeiten mehr, sagte Ockel. Die Landebahn sei nicht mehr zu verhindern. Jetzt gehe es um Schadensbegrenzung, um die Belastungen für Kelsterbach so gering wie möglich zu halten. Die Stadt habe vor Gericht ohnehin weniger Möglichkeiten als andere, weil sie nicht direkt überflogen werde. Die Rechtsposition der anderen Kommunen, deren Klagen noch laufen, sieht Ockel durch den Schritt von Kelsterbach nicht beeinträchtigt.

Fraport-Vize Schulte zeigte sich zufrieden mit der Vereinbarung. Sie bringe eine Win-Win-Situation für beide Seiten und unterstreiche die Fähigkeit zum Kompromiss. Schulte lobte Kelsterbach als "sehr luftfahrtfreundliches Gemeinwesen". Die Kooperation werde künftig auf eine breitere Grundlage gestellt.

Lärm und Dreck für die Region, goldene Wasserhähne für Kelsterbach

Weniger Begeisterung gab es bei den Ausbaugegnern. Die Bürgermeister der umliegenden Kommunen Flörsheim, Hochheim und Hattersheim reagierten enttäuscht und ungehalten auf die Ankündigung ihres Amtskollegen Ockel. "Ich bin enttäuscht, dass Kelsterbach so sang- und klanglos aus der kommunalen Solidarität aussteigt", sagte der Flörsheimer Bürgermeister Antenbrink. Der Klageverzicht sei zwar vorhersehbar gewesen, nachdem sich Kelsterbach schon einige Monate aus der Initiative "Zukunft Rhein-Main" zurückgezogen habe. Er halte es aber für "geschmacklos", zwei Tage nach Beginn der Waldrodung die Entscheidung zu verkünden. Das Flörsheimer Stadtparlament soll heute eine Resolution verabschieden, mit der der Magistrat beauftragt wird, weiter juristisch gegen den Flughafenausbau vorzugehen, kündigte Antenbrink an.

Die Hochheimer Bürgermeisterin Munck bezeichnete den Vorgang als "Riesenenttäuschung für alle, die seit Jahren dagegen kämpfen". Gerade jetzt zu aufzugeben sei das Dümmste, was man tun könne. Der Kampf sei nicht aussichtslos, wie die sich jüngst wieder eröffnete Möglichkeit eines Nachtflugverbots zeige.

Ziemlich wütend zeigte sich der Hattersheimer Bürgermeister Franssen. "Man sieht, dass einigen Kapital wichtiger ist als das Schutzgut Mensch", sagte er und fasste die Kritik treffend in einem Satz zusammen: "Lärm und Dreck für die Region, goldene Wasserhähne für Kelsterbach". Ockels Vorgänger Engisch sei ein Wortführer gegen den Ausbau gewesen: "Mit ihm wäre das nicht passiert".[laut FR v. 23.01. ein Irrtum, Engisch äußert sich dort zustimmend zum Vorgehen seines Nachfolgers, Anm. der Red.] Franssen befürchtet, dass nun andere Kommunen dem Beispiel Kelsterbachs folgen könnten, nachdem der Spaltpilz einmal gesetzt worden sei.

Landrat Siehr (Kreis Groß-Gerau) ist empört über die Kelsterbacher Aktion. Er habe Verständnis für Bürgermeister, die die Interessen ihrer Kommune verteidigten. Aber er bedauere, dass Kelsterbach die Solidarität der Ausbaugegner verlasse und der Bewegung Schaden zufüge. Siehr kündigte an, weiter gegen den Ausbau zu kämpfen und den Rechtsweg bis zur letzten Instanz zu beschreiten.

Auch die Stadt Rüsselsheim ist nicht zufrieden mit dem Deal. Die Front der Kommunen gegen den Ausbau würde durch das Abkommen geschwächt, sagte Stadträtin Klinger. Nicht eindeutig äußerte sich der Bürgermeister von Mörfelden-Walldorf, Becker. Er versteht einerseits die Position der Stadt Kelsterbach, sieht aber auch ein negatives Signal darin, dass die Kommunen nicht mehr geschlossen gegen den Ausbau kämpfen. Becker erhofft sich dennoch gute Chancen, wenigstens ein Nachtflugverbot vor Gericht zu erreichen.

Der Raunheimer Bürgermeister Jühe zeigte dagegen Verständnis für Kelsterbach. Die Klage zurückzuziehen sei "verantwortungsvolles Handeln", kommentierte Jühe, der Ausbau sei nicht zu verhindern. Jühe plädiert schon längere Zeit für den Ansatz "Verhandlung mit Fraport statt Klage" und hat mehrfach die anderen Kommunen wegen ihrer "Fundamentalopposition" kritisiert.

Grüne: "Erbärmlicher Ablasshandel"

Der Flughafen-Experte der Grünen-Landtagsfraktion Kaufmann bezeichnete die Vereinbarung als "erbärmlichen Ablasshandel". Fraport erfülle nicht einmal den Lärmschutz, der nach dem Mediationsverfahren vorgesehen war.

Der Offenbacher Stadtrat Weiß schlug vor, Offenbach könne anstelle von Kelsterbach als Musterklägerin vor dem Verwaltungsgerichtshof auftreten.

Kein Verständnis findet die Kelsterbacher Aktion auch beim BUND:. Der BUND appellierte an die Kelsterbacher Stadtverordneten, das Projekt zu stoppen: " Verkauft den Wald nicht! Bleibt solidarisch im Widerstand gegen den Flughafenausbau." Noch sei nicht einmal ein Enteignungsverfahren beantragt, und deshalb gebe es auch keinen Grund, sich schon heute mit Fraport zu verständigen. Die Stadt solle lieber den Rechtsweg vor einer Enteignung ausnutzen und endlich ein Eilverfahren gegen die vorzeitige Besitzeinweisung einleiten.

Der BUND befürchtet, dass nicht nur der für die Landebahn zu rodende Wald verschwinden wird, sondern auch der restliche Kelsterbacher Wald keine Überlebenschance haben wird. Von der Idee, aus dem kleinen verbleibenden Restwald nördlich der Landebahn ein neues Erholungsgebiet für die Bevölkerung zu machen, hält der BUND gar nichts: "Das ist nicht einmal ein schlechter Witz".

Die Bürgerinitiative IGEL (Kelsterbach) bedauert, dass sich die Stadt Kelsterbach im Zusammenhang mit der Übereignung des bisherigen Erholungswaldes an die Fraport AG das Recht auf weitere juristische Schritte abkaufen lässt. IGEL hält dies für einen Verstoß gegen die bestehende Flughafen-Resolution der Stadtverordnetenversammlung und bitte die Stadtverordneten, der Vorlage in der anstehenden Sitzung nicht zuzustimmen.

Robin Wood weist darauf hin, dass Fraport bis zum März dieses Jahres sämtliche für den Asubau benötigten Waldflächen kahl schlagen will, nicht nur die 92 ha für vordringliche Arbeiten. Nur für diese 92 ha hatte Fraport eine "vorzeitige Besitzeinweisung" erwirkt. Weil die Stadt Kelsterbach den Wald aber jetzt verkaufen will, entfällt diese Beschränkung. Robin Wood forderte die Stadtverordneten auf, dem Grundstücksverkauf nicht zuzustimmen und weiterhin solidarisch mit dem Widerstand gegen den Flughafenausbau zu bleiben.



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